© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/06 28. Juli / 04. August 2006

"Sonntags verachtete er Kragen, Schlips und Elternhaus"
Wanderschuh, Stahlhelm, Bibel: Vor zwanzig Jahren starb der nonkonforme Dichter Manfred Hausmann / Verfechter der deutschen Einheit
Manfred Müller

Jugendbewegter, Frontkämpfer, Sozialdemokrat, Verteidiger deutscher Ehre, entschiedener Protestant (nach pantheistischen Umwegen) - stichwortartig läßt sich so bereits einiges über das in manchen Punkten widersprüchlich erscheinende Leben des Dichters Manfred Hausmann sagen. 1889 wurde er als Sohn eines Fabrikanten in Kassel geboren. Der Gymnasiast geriet in Göttingen in den Bannkreis der Wandervogelbewegung. In einem "Selbstbildnis" von 1930 merkte Hausmann dazu an: "Sonntags verachtete er Kragen, Schlips und Elternhaus und wanderte barbürstig in Deutschland umher."

Was ihn an der damaligen Jugendbewegung faszinierte, hielt Hausmann 1959 wie folgt fest: "Mit dem eigenen Jungsein entdeckten diese jungen Menschen auch die Jugend ihres Volkes. Mysterienspiele, Musik der Frühzeit, Volkslieder, Fastnachtsschwänke, Tänze, in denen das zum Ausdruck kam, was auch in ihnen jubelte, grübelte und weinte, wurden aus ihrem Schlaf erweckt und erneuert. Mit einem Ungestüm ohnegleichen warf die Jugend sich der Landschaft ans Herz. (...) Was für frohe und gedankenvolle Sommerabende ereigneten sich draußen unter den Linden der Landheime, was für tannendurchduftete, verwunschene Weihnachten in den verschneiten Burgruinen des Vaterlandes."

Nach dem Notabitur im November 1916 trat Hausmann in ein Infanteriebataillon ein und kam im März 1917 an die Front. Im "Selbstbildnis" von 1930 heißt es: "Das abenteuerliche Leben unter Männern behagte ihm besser als seine bürgerliche Vergangenheit. Eisenbahnfahrten kreuz und quer, tagelang, nächtelang, fremde Länder, Hunger, Gas, Trommelfeuer, Regen, Vegetieren im Stollen ..., unglaubliche Rohheit, einzigartige Kameradschaft, Waldlager, Tod, Wahnsinn. Er begriff vom Wesen und Sinn des Krieges so gut wie nichts. Ein lebensgieriger Junge von achtzehn Jahren."

Der Kriegsheimkehrer (Gasvergiftung, Fußverletzung) studierte in Göttingen und München und promovierte 1922 zum Dr. phil. über "Kunstdichtung und Volksdichtung im deutschen Soldatenlied 1914-1918". Mit seinem nationalkonservativen Vater überwarf er sich, da er für Ernst Toller (Kriegsminister der Münchener Räterepublik) eintrat. Ab 1926 lebte Hausmann als freier Schriftsteller. Ein Jahr lang zog er als Tippelbruder durch Deutschland. Die Eindrücke verarbeitete er, unter dem Einfluß Hamsuns stehend, zu seinem Roman "Lampioon küßt Mädchen und kleine Birken". Bekannter wurde er durch seinen Roman "Abel mit der Mundharmonika" (1932), der 1933 von der UFA verfilmt wurde. Dieser Film wurde 1945 von den Besatzern vernichtet, weil die Haltemannschaft bei Aufstieg eines Ballons von SA-Leuten dargestellt wurde.

Der Erfolg der ersten Romane erlaubte es Hausmann, für seine Familie in der Künstlerkolonie Worpswede ein Haus zu kaufen. In Worpswede wurde er Mitglied des Gemeinderates. Aber immer wieder trieb es ihn hinaus in die Welt. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs führten ihn seine Reisen über Europa hinaus nach Nord- und Mittel-amerika. Nachdem er pantheistische Anwandlungen abgestreift hatte, bekannte er 1931: "Ich glaube an nichts. (...) Daß überlieferte Dogmen und Religionen, mögen sie noch tief und ergreifend in ihrer Symbolik sein, als Gegenstand eines schöpferischen und lebendigen Glaubens nicht in Frage kommen, versteht sich von selbst."

Durch die Begegnung mit dem Theologen Karl Barth kam es zu einer völligen Umkehrung: Hausmann wurde ein gläubiger Protestant.

1933 entfernten die neuen Machthaber Hausmann aus dem Worpsweder Gemeinderat. Hausmann lehnte eine Emigration ab, er wollte das Schicksal seines Volkes teilen. Im Zweiten Weltkrieg tat er Dienst im Stabe einer Luftlandedivision. Nach einem Jahr mußte er, gesundheitlich unter den Spätfolgen seiner Verwundung aus dem Ersten Weltkrieg leidend, aus dem Militärdienst ausscheiden.

Scharfe Kritik an Thomas Mann

Nach dem Zweiten Weltkrieg trat Hausmann in die SPD ein und gehörte bis 1951 wieder dem Gemeinderat an. 1967 wurde er in Bremen-Rönnebeck Laienprediger der Evangelisch-Reformierten Landeskirche. Seit 1950 war er Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 1955 trat er aus der Akademie aus, um sich von dem Ehrenmitglied Thomas Mann zu distanzieren. In einem vertraulichen Brief an den Präsidenten Hermann Kasack schrieb Hausmann: "Vor 10 Jahren hat Thomas Mann als amerikanischer Bürger ... eine Rede über "Deutschland und die Deutschen" gehalten ... In dieser Rede stehen Sätze über Deutschland - über das ganze Deutschland, ohne jede Einschränkung - und über den deutschen Charakter, deren Zynismus und Gehässigkeit auch dann nicht zu entschuldigen sind, wenn man die Zeit und die Umstände ihrer Entstehung berücksichtigt.... Es ist mir unbegreiflich, wie die Akademie jemanden, der sich seinem ehemaligen Vaterland gegenüber in der Zeit der tiefsten Not so fragwürdig verhalten hat, zu ihrem Ehrenmitglied ernennen kann." Dieser Brief wurde durch eine Indiskretion der Öffentlichkeit bekannt und löste eine Pressekampagne gegen Hausmann aus.

1961, als viele bereits die Wiedervereinigung Deutschlands offen oder insgeheim abgeschrieben hatten, trat Hausmann sehr deutlich gegen die politische und geistige Spaltung des Vaterlandes auf: "Vor allem kommt es darauf an, eine lebendige Verbindung zu halten, zu Einzelnen, zu Gruppen, zum Ganzen ... In Verbindung zu bleiben, alle Möglichkeiten der Verständigung auszuschöpfen, das Gemeinsame zu bewahren, das Wissen und Gefühl um Bruderschaft zu stärken, bis die Zeit sich wendet, darum geht es."

1986 nahm Hans Bender in die Sammlung "Spiel ohne Ende. Erzählungen aus hundert Jahren S. Fischer Verlag" Hausmanns "Mond hinter Wolken" auf - eine Erzählung, in der Wesenseigentümlichkeiten der deutschen bündischen Jugend mit großer atmosphärischer Dichte wiedergegeben sind. Hausmann hat noch heute, zwanzig Jahre nach seinem Tod am 6. August 1986, den Nonkonformisten in unserem Volk (weit über den Kreis der Jugendbewegten hinaus) Wichtiges zu sagen.


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