© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/06 28. Juli / 04. August 2006

Befristete Ausnahmen möglich
Konflikt Israel-Libanon: Das Völkerrecht setzt die Grenzen des Rechts auf Selbstverteidigung / Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten
Wolfgang Seiffert

Daß mittlerweile zivile Einrichtungen und Zivilisten in einem anderen Staat bombardiert werden, ist völkerrechtlich völlig inakzeptabel", erklärte vorvergangenes Wochenende Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul im Tagesspiegel am Sonntag angesichts der israelischen Militäraktion gegen den Libanon. Die SPD-Politikerin erntete hierfür herbe Kritik, unter anderem vom Zentralrat der Juden in Deutschland sowie CDU-, FDP- und Grünen-Politikern.

In der Tat sind immer mehr Politiker und Journalisten bemüht, das Vorgehen Israels gegen den Libanon bzw. die dortige Hisbollah mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen zu rechtfertigen. Solche Argumentationen ignorieren allerdings regelmäßig, daß das Recht auf Selbstverteidigung dem einzelnen Staat nur unter bestimmten Voraussetzungen und in bestimmten Grenzen zusteht. Einmal ist davon auszugehen, daß Artikel 2 Ziffer 4 der Uno-Charta ein umfassendes Gewaltverbot als tragenden Grundpfeiler der internationalen Ordnung bildet. Daran haben weder der Irak-Krieg noch der Nato-Krieg gegen Jugoslawien 1999 etwas geändert - auch wenn diese Militäraktionen von ihren Teilnehmern unter Zuhilfenahme von Ausnahmeregelungen "gerechtfertigt" wurden.

Bedrohung oder Bruch des Friedens muß vorliegen

Mit anderen Worten: Die Anwendung militärischer Gewalt in den internationalen Beziehungen ist grundsätzlich verboten und daher völkerrechtswidrig. Ihre Anwendung ist nur in Ausnahmefällen und nur dann zulässig, wenn der Weltsicherheitsrat festgestellt hat, "ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt" (Artikel 39 der Uno-Charta). Dann beschließt eben der Weltsicherheitsrat - und nicht einzelne Staaten -, welche Maßnahmen militärischer Art zur Abwendung der Gefahr zu treffen sind. Lediglich bis zu dieser Feststellung (also zeitlich befristet) hat der einzelne Staat das Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung (Artikel 51 der Uno-Charta). Neben dieser zeitlichen Befristung gilt die inhaltliche Einschränkung, daß alle Maßnahmen dem universellen völkerrechtlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit unterworfen sind. Auch Haager und Genfer Abkommen gelten schließlich weiter.

Selbst wenn man nicht so weit geht, wie der russische Präsident Wladimir Putin auf der Tagung der G8-Staaten in Petersburg, der davon sprach, daß Israel mit seiner Militäraktion gegen den Libanon weitergehende Ziele verfolge, als nur die Freilassung der entführten israelischen Soldaten, so bleibt doch, daß das vorgegebene Ziel der Freilassung der israelischen Soldaten zu der militärischen Gewaltanwendung gegen den Libanon und die dortige islamische Hisbollah-Miliz in schreiendem Mißverhältnis steht und schon allein deswegen völkerrechtswidrig ist.

Auch die Uno-Resolution 1559 von 2004, die eine Entwaffnung aller Milizen im Libanon sowie den Rückzug der syrischen Soldaten aus dem Libanon forderte, schafft keine andere Rechtsgrundlage. Für die Uno ist die jetzige Situation besonders brisant, handelt es sich doch beim Libanon um ein Gründungsmitglied der Uno. Und ein libanesischer Diplomat - Charles Habib Malik, der bis 1933 in Freiburg im Breisgau bei Martin Heidegger studierte, dann in die USA emigrierte - war 1945 maßgeblich an der Ausarbeitung der Uno-Charta beteiligt.

Forderung nach sofortigem Ende der Gewalt

Da der Sicherheitsrat wohl noch längere Zeit brauchen wird, bis er die von vielen geforderten Schritte zur Herbeiführung eines Waffenstillstandes trifft, erlangt die G8-Erklärung vom 17. Juli in St. Petersburg noch größere Bedeutung (JF 30/06). In ihr verlangen alle acht Staaten - darunter vier ständige Mitglieder des Weltsicherheitsrates - "das sofortige Ende der gegenwärtigen Gewalt, eine Wiederaufnahme der Sicherheitskooperation und der politischen Bemühungen sowohl unter den Palästinensern als auch mit Israel".

Bundesministerin Wieczorek-Zeul und ihr Amtsvorgänger Carl-Dieter Spranger (CSU) bekräftigten am 20. Juli übrigens die G8-Forderungen: "Wir setzen uns für einen sofortigen Waffenstillstand aller Beteiligten im Nahen Osten ein, damit Tod und Leid der Zivilbevölkerung und die Zerstörung der Infrastruktur in der Region beendet werden und die Politik wieder zu ihrem Recht kommen kann", erklärten sie in einer gemeinsamen Mitteilung.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert ist Völkerrechtler und war Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht in Kiel. Er lehrte auch am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.


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