© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/06 28. Juli / 04. August 2006

PRO&CONTRA
TV-Beweis als Oberschiedsrichter?
Udo Rettberg / Andreas Herren

Wenig professionell gehen die Fußball-Verantwortlichen mit der "Wahrheit" beim Fußball um. Bezogen auf die Abläufe eines Spiels heißt das: Der Schiedsrichter sagt, was wahr und was unwahr ist. Die FIFA gibt einer Person beziehungsweise einem Dreier-Gespann die Macht, Dinge nach ihrem Gusto zu entscheiden. Da Schiedsrichter Menschen sind, muß es zwangsläufig zu Fehlentscheidungen kommen. Nur eine einzige Fehlentscheidung kann einen Club jedoch zig Millionen kosten, ja sogar in den Ruin treiben. Sind sich FIFA, UEFA und die anderen Verbände dieser Verantwortung bewußt? Daran ist zu zweifeln. Ein einziger Pfiff kann manchmal über Hunderte Millionen Euro entscheiden - für die Mannschaft ABC und gegen die Mannschaft XYZ.

Was also ist zu tun? Der Fernsehbeweis muß her. Bereits in einigen Jahren werden sich die Menschen fragen, wie Fußball auf großer Bühne jemals ohne den TV-Beweis existieren konnte. Der TV-Beweis hilft allen: den Schiedsrichtern, den Spielern, den Clubs und letztlich auch den Fans, die ein ehrliches Spiel sehen wollen und die Nase von Schiebereien und Wettskandalen voll haben. Was also liegt näher, als in einem Sport, der weltweit jährlich rund 50 Milliarden Euro bewegt, Meßlatten des modernen Technologiezeitalters anzulegen?

Mit dem TV-Beweis einhergehen muß die in den USA angewandte Regel des "Coach's Challenge". Im dortigen Profisport haben die Cheftrainer jeder Mannschaft zwei Mal pro Spielabschnitt die Möglichkeit, eine aus ihrer Sicht knappe und umstrittene Entscheidung der Schiedsrichter (im Football als "Umpire" bezeichnet) in Frage zu stellen. Die Referees sehen sich dann die umstrittene Spielszene auf einem speziellen am Spielfeldrand stehenden sogenannten Replay-Monitor (Bildschirm für die Wiederholung des Spielzugs) ein oder mehrere Male an.

 

Udo Rettberg ist Co-Autor des Buches "Geld schießt Tore" (C. Hanser Verlag) und Redakteur der Wirtschaftszeitung "Handelsblatt".

 

 

Der Fernsehbeweis soll es wieder mal richten: gepfiffene (oder nicht gepfiffene) Abseitsstellungen, Fouls vor dem Strafraum oder im Sechzehner, Ball im Tor oder nicht und so weiter und so fort. Dann wird, Technik sei Dank, alles gut sein.

Wirklich? Vielleicht wird auch überhaupt nichts mehr gut sein. Weil plötzlich jedes noch so banale Foul hinterfragt werden muß, weil vielleicht schon der Abschlag des Torwarts, der ein paar Pässe später zu einem Treffer geführt hat, gar kein Abschlag war, sondern Ecke. Und, und, und ... Bis man sich nach der Prüfung der x-ten Kameraeinstellung durch den vierten Schiedsrichter am Rande des Spielfelds einigt, haben sich die Zuschauer im Stadion schon auf den Nachhauseweg gemacht und der TV-Zuschauer sich weggezappt.

Kommt hinzu, daß die Spielregeln universell sind und in ihrer Gesamtheit weltweit gleich angewendet werden können. Raffinierte technische Einrichtungen hingegen sind störungs- und manipulationsanfällig. Eine WM besteht nicht nur aus der Endrunde mit 64 Spielen, sondern über 850 weiteren Qualifikationsspielen auf der ganzen Welt, die gemäß Reglement unter den gleichen Prämissen auszutragen sind.

Tor oder nicht Tor: Diese Frage wird man bald mittels einer neuen Technologie beantworten können, sei es mit dem Chip im Ball oder hochauflösenden Digitalkameras. Der Schiri kann dann sofort entscheiden, weil ein Gerät - Uhr, Armband - ihn mithilfe eines akustischen Signals oder Vibrierens darauf aufmerksam macht und er nicht zuerst fünf verschiedene Kameraeinstellungen konsultieren muß. Alle übrigen Entscheidungen überlassen wir auch in Zukunft getrost dem Menschen, trotz seiner Anfälligkeit für Irrtümer - der Stürmer hat schließlich auch das Recht auf den Schuß neben das Tor.

 

Andreas Herren ist Leiter des Bereichs Medien bei der FIFA in Zürich. Internet: www.fifa.com 


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