© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/06 21. Juli 2006

Der Vasall aus Warschau
Polnische Außenpolitik: Das Weimarer Dreieck war nur ein Mittel zum Zweck / Die Ausrichtung auf die USA bleibt
Stefan Scheil

Der frühere US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski hat manch europäische Diskussionsrunden in den neunziger Jahren gerne mit der Bemerkung schockiert, der europäische Kontinent sei ein Protektorat der Vereinigten Staaten. Als sei die europäische Eigenliebe und die vielbeschworene transatlantische Wertegemeinschaft dadurch noch nicht genug beschädigt, betonte er im weiteren, dies sei nicht verächtlich gemeint, sondern nur als nüchterne Feststellung. Ein anderer Satz des 1928 in Warschau geborenen Politikwissenschaftlers hatte eher romantischen Inhalt und blieb in Westeuropa weithin ungehört: "Wenn ich ein Bürger Polens wäre und zwischen der Zugehörigkeit Polens zur Nato und einem Bündnis Polens mit der Ukraine wählen könnte, so würde ich mich für letzteres entscheiden".

Ob nun aufgrund von Brzezinskis intellektuellem Einfluß oder natürlicher Realpolitik, zwischen beiden Maximen bewegt sich in der Tat die polnische Außenpolitik seit 1990. Den scheinbaren Widerspruch zwischen US-amerikanischem Vasallentum und eigener Interessenverfolgung hat seit 1990 kaum jemand in Europa so ambitioniert aufgelöst wie die Republik Polen. Mittlerweile ist sie nicht nur Mitglied der Nato, sondern auch der Europäischen Union, setzte es dort durch, Spanien als größten Nettoempfänger von EU-Geldern abzulösen und ein gleiches Stimmengewicht wie Frankreich zu haben, kämpft im Irak an vorderster Front mit den Vereinigten Staaten und hat weiterhin die Einbeziehung der Ukraine in den Dunstkreis von Warschau-Washingtoner Politik fest im Blick. Das "Neue Europa" Donald Rumsfelds findet in Warschau vorbildlich statt.

Sicherung der nach 1945 polonisierten Gebiete

Dies kommt nicht von ungefähr. Anders als europäische Größen wie England, Frankreich oder Deutschland, die immer noch dazu neigen, den Nabel der Welt in der eigenen Hauptstadt zu vermuten und sei es nur, weil sie wie die Berliner Regierung die Welt um die Bewältigung der eigenen Vergangenheit kreisen sieht, weiß man in Warschau seit den polnischen Teilungen des 18. Jahrhunderts um die eigene Abhängigkeit von der auswärtigen Großwetterlage. Umgeben von zwei Nachbarn, Deutschland und Rußland, denen im Alleingang nicht beizukommen war, blickte man stets hilfesuchend in die Ferne. Zu den mittlerweile traditionellen Verhaltensweisen der polnischen Elite zählt daher die sorgfältige Beobachtung des We-stens, heutzutage vorwiegend der Vereinigten Staaten. Gestützt auf Washingtoner Wohlwollen läßt sich eine überraschend souveräne polnische Außenpolitik treiben. Gelegenheiten dafür brachte das Jahr 1989, der Sieg der USA über den Warschauer Pakt und die unter dem Banner des Sozialismus firmierende großrussische Politik. Was Rußland seit 1700 an Territorium gewonnen hatte, ging auf einen Schlag fast vollständig verloren.

Aus polnischer Perspektive stellte 1989 aber auch eine Art Sieg über Deutschland dar. Schließlich sah sich doch die Bundesrepublik genötigt, erstmals in ihrer Geschichte die Oder-Neiße-Linie formal als Staatsgrenze anzuerkennen, ohne noch einmal einen Vorbehalt mit Blick auf künftige Verträge einfügen zu können. In den bewegten Monaten der Jahreswende 1989/90 konnte Kanzler Kohl manches durchsetzen, woran er selbst noch kurz zuvor nicht im Traum gedacht hätte. Als er mit der Anerkennung der bestehenden deutsch-polnischen Grenzen zögerte, schien sich aber den Bedenkenträgern in London und Paris noch einmal ein willkommener Anknüpfungspunkt zu bieten, die Vereinigung von Bundesrepublik und DDR überhaupt zu sabotieren. Hier blieb Kohl nichts anderes übrig, als schnell zurückzurudern, wenn er nicht die deutsch-polnische Grenzfrage überhaupt nur als Schreckgespenst gebraucht hatte, um den Westmächten zu signalisieren, wie gut sie mit der Einheit eines kleindeutschen Rumpfstaats bedient waren.

Zu den Standardaufgaben der polnischen Außenpolitik seit dieser Zeit gehört dennoch auch der unentwegte Einsatz für die Sicherung der nach 1945 polonisierten Gebiete. Allen bundesdeutschen Status-quo-Schwüren zum Trotz sieht man hier in Warschau permanenten Handlungsbedarf, was sich außenpolitisch in ständigen Mahnungen an Deutschland äußert, die Geschichte nicht umzuinterpretieren. Daraus folgt die konsequente Ablehnung jeder Form von Entschädigung vertriebener Deutscher. Zugleich läuft dies innenpolitisch immer wieder auf Verhaltensweisen hinaus, die an den alten Volkstumskampf erinnern. So verabschiedete der polnische Sejm 2004 das "Gesetz über die nationalen Minderheiten", das in Polen amtliche Schilder und Inschriften in deutscher Sprache de facto aus dem Verkehr zog.

Politische Kontinuitäten aus den zwanziger Jahren

Auf der Strecke blieben die politische Toleranz und die Hoffnung auf Rücksicht gegenüber ethnischen Minderheiten, die mit dem Völkerfrühling von 1989 auch verbunden war. Dazu gesellen sich personelle und politische Kontinuitäten, die außenpolitisch in eine radikale Vergangenheit verweisen. Der im Mai 2006 gebildeten Regierung gehörte als stellvertretender Ministerpräsident Roman Giertych von der Partei LPR an. Er ist bereits in der dritten Generation in ähnlicher Richtung politisierender Erbe von jenem Jedrzej Giertych, der als radikales Mitglied der polnischen Nationaldemokratie im Sommer 1939 mit einer Artikelserie über Polens Marsch an die Oder, die kommende Zerschlagung Deutschlands und die Gründung von Pufferstaaten westlich von Oder und Neiße kräftig die Stimmung anheizte. Enkel Roman rief 1989 als 18jähriger die Allpolnische Jugend sofort wieder ins Leben, die in den 1930er Jahren mit Gewalt gegen Minderheiten in der polnischen Republik vorgegangen war. Zuvor hatte Vater Maciej Giertych als Präsidentschaftskandidat 2005 mit Blick auf die EX-DDR den alten Topos von der angeblichen "Ostflucht" der Deutschen wiederbelebt, mit dem in der Vorkriegszeit polnische Ansprüche auf Pommern und Schlesien begründet worden waren.

Solche Radikalismen geben in der polnischen Außenpolitik nicht den Ton an, doch sind sie auf Regierungsebene vorhanden, wo man bei der Verfolgung eigener Ziele keinen Spaß versteht, wie sich beim jüngsten Karikaturenstreit um den polnischen Präsidenten Kaczynski erneut zeigte. Einstweilen scheint über Europa jedoch die milde und unerbittliche Sonne des amerikanischen Imperiums. Abenteuer im Protektorat sind aus Washingtoner Sicht nicht erwünscht.


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