© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/06 21. Juli 2006

Ohne Deutsch kein Erfolg
Bildungspolitik: Immer mehr Schüler scheitern an den Anforderungen von Lehrausbildung und Berufsschule
Josef Hämmerling

Schon der deutsche Kulturphilosoph Friedrich von Schlegel wußte es: Das höchste Gut und allein Nützliche ist die Bildung. Doch genau das ist heute bei immer weniger Schülern der Fall. Inzwischen hat dieser Mißstand sogar so große Ausmaße angenommen, daß die deutsche Wirtschaft dadurch erheblichen Schaden erleidet.

Wie schlimm es geworden ist, kennzeichnen die folgenden Zahlen: So haben 2004 nach einem Gutachten des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) für den Gemeinschaftsausschuß der deutschen gewerblichen Wirtschaft 8,3 Prozent aller Schüler eine allgemeinbildende Schule ohne Abschluß verlassen. Dieses wirkte sich auch auf die Ausbildungsphasen aus, die sich immer weiter verlängerten.

22,8 Prozent der Lehrlinge scheitern in der Berufsschule

Besonders schlimm sieht es an den Berufsschulen aus, wo 22,8 Prozent aller jungen Männer und Frauen keinen Abschluß schafften. Zehn Jahre zuvor hießen die Lehrlinge zwar auch schon politisch korrekt Auszubildende - aber von den damaligen "Azubis" scheiterten dagegen nur 16,3 Prozent. Dadurch hat sich gleichzeitig die Anzahl der jungen Menschen in berufsvorbereitenden Maßnahmen von 80.000 auf 160.000 Personen verdoppelt, während sich die Zahl der Personen, die sich im Berufsvorbereitungs- und Berufsgrundbildungsjahr befinden, sogar auf rund 120.000 Männer und Frauen verdreifacht hat. Der Erfolg dieser Maßnahmen ist jedoch nur sehr gering, da 43 Prozent aller Schulabgänger das Berufsvorbereitungsjahr und 32 Prozent das Berufsgrundbildungsjahr abbrechen. Lediglich rund einem Drittel der Absolventen dieser Maßnahmen gelingt den Angaben zufolge der unmittelbare Übergang in eine Berufsausbildung, beklagt das arbeitgebernahe IW.

Neben einem ungünstigen sozialen Umfeld sowie Eltern ohne Abschluß der Sekundarstufe II sind es der IW-Studie zufolge oftmals auch Ausländer- und Einwandererkinder, die in der Schule scheitern. Danach wurden 21 Prozent aller bildungsarmen Kinder im Ausland geboren, aber nur zwei Prozent der bildungsreichen Kinder. Zudem werde in einem Viertel aller Familien bildungsarmer Kinder zu Hause nicht deutsch gesprochen, gegenüber nur einem Prozent in den Familien von Kindern mit guter Bildung. Dabei habe die Pisa-Studie ergeben, "daß ein besonders starker Einfluß auf die Kompetenzen von Schülern vom familiären Hintergrund der Jugendlichen ausgeht".

Und angesichts der kürzlich bekanntgewordenen Ergebnisse der internationalen Grundschulstudie Iglu ist auch keine Besserung in Sicht (dort wurden alle Viertkläßler unabhängig vom Lebensalter getestet, während bei der Pisa-Studie alle 15jährigen sich einer Prüfung unterziehen mußten). Zwar erreichten die Grundschüler bei der Iglu-Studie ein besseres Ergebnis als bei der Pisa-Studie. Doch ist dies nur vordergründig ein Erfolg. "Da deutsche Schüler im internationalen Vergleich deutlich später eingeschult werden, hängen die bei Pisa getesteten deutschen Schüler schulisch hinterher, während sie bei Iglu älter sind als ihre Klassenkollegen in anderen Ländern", betonte der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus. Beschränke man den Vergleich auf die 14 Länder, die in beiden Studien untersucht wurden, liege Deutschland noch immer unter dem Durchschnitt: bei Iglu auf Platz 8, bei Pisa auf Platz 10.

Das schlechte Abschneiden bei beiden Studien hat den Experten zufolge seinen Ursprung im Bereich der frühkindlichen Bildung, wie sich beim Vergleich mit Schweden und den Niederlanden zeigt, die sowohl bei Iglu als auch bei Pisa vorne lagen (JF 29/06). Während die meisten deutschen Grundschüler erst mit sechs Jahren in die Schule kommen und im ersten Jahr 625 Stunden dort verbringen, fängt ein junger Niederländer bereits mit vier Jahren an und hat mit 940 Stunden deutlich mehr Unterricht. Nicht nur, daß die Bildungsausgaben pro Kopf in den Niederlanden rund 15 Prozent über denen in Deutschland liegen, wurden die Ausgaben pro Schüler seit 1995 dort sogar um ein Viertel gesteigert. In Deutschland waren es nur drei Prozent.

Das sind nicht nur schlechte Nachrichten für den einzelnen Betroffenen, für den ein geringerer Bildungsstand ein hohes Arbeitslosigkeitsrisiko bedeutet bzw. geringere Chancen auf ein hohes Einkommen, sondern auch für das Allgemeinwohl. "Für die gesamte Volkswirtschaft hat der Bildungsstand der Bevölkerung Einfluß auf ihre technologische Wettbewerbsfähigkeit und die Attraktivität für ausländische Investoren", betont das IW.

Bildungsnotstand ist Gefahr für deutsche Volkswirtschaft

Damit Deutschland im internationalen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen gerate, sei es erforderlich, die noch nicht erschlossenen Bildungspotentiale künftig besser auszuschöpfen, heißt es weiter. Darüber hinaus müßten Bildungsinvestitionen gezielter eingesetzt werden. Dies alles müsse schon in den Kindergärten gelten, beispielsweise durch verbindliche und bundesweit geltende Standards. So sollte der Besuch des Kindergartens im letzten Jahr vor Schulbeginn Pflicht sein. Gegenwärtig besuchen laut IW Kinder aus bildungsfernen Schichten seltener einen Kindergarten als Kinder aus bildungsnahen Schichten. Wichtig sei auch eine bessere Ausbildung der Erzieher an Kindergärten sowie die Einführung einer zielorientierten Lehrervergütung. Positiv würden sich Ganztagesschulen auswirken, da hier unterschiedliche Startchancen ausgeglichen werden könnten.

Damit auch die Volkswirtschaft hiervon profitiert, schlägt das IW die Absenkung von Ausbildungsschwellen durch "flexiblere" Ausbildungsvergütungen sowie mehr Praxisnähe in der Berufsvorbereitung vor. Bei der Neuordnung von Ausbildungsberufen sollten die Belange von leistungsschwächeren Jugendlichen stärker berücksichtigt werden, etwa durch eine Ausweitung des Angebots an zweijährigen Berufsausbildungen.

Eine Kurzfassung der IW-Studie "Bildungsarmut und Humankapitalschwäche in Deutschland" findet sich im Internet unter: www.iwkoeln.de/data/pdf/content/pma_260606_bildungsarmut_statement.pdf 


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