© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/06 21. Juli 2006

Staatlich organisierter Hausfriedensbruch
Nordrhein-Westfalen: Innenminister Ingo Wolf plant, die Befugnisse des Verfassungsschutzes auszuweiten / Zugriff auf elektronische Informationssysteme
Josef Hämmerling

Wenn es nach dem Willen des Innenministers von Nordrhein-Westfalen geht, erhält der Verfassungsschutz des Landes künftig das Recht, sich heimlich in die Computer von Verdächtigen einzuhacken und Daten auszuspähen. Während Minister Ingo Wolf (FDP) in seinem Gesetzentwurf eine Anpassung an die aktuelle Bedrohungslage sieht, halten Kritiker dem Liberalen vor, dem totalen Überwachungsstaat den Weg zu bereiten.

Wolf begründet die Gesetzesverschärfung mit der Notwendigkeit, den Krieg gegen den Terror effizient führen zu können. Denn da Anschläge, wie etwa die im Juli des vergangenen Jahres in London, nicht mehr nur von ausländischen Tätern, sondern zunehmend auch von Staatsbürgern des eigenen Heimatlandes verübt würden, müßten "erstmals auch Auskunftsrechte für die Beobachtung inländischer terroristischer Bestrebungen geschaffen werden", sagte Wolf. Zudem würden "immer häufiger über das Internet Angriffsziele vorgeschlagen, Logistik verkauft, telefoniert und Cyber-Angriffe gestartet; auch inländische Extremisten nutzen das Internet als Propagandamittel und Aktionsforum." Deshalb sollen nach Ansicht des FDP-Politikers "ausdrücklich der heimliche Zugriff auf informationstechnische Systeme über das Internet und die Beobachtung von extremistischen Homepages in das Gesetz mit aufgenommen werden". Einen Eingriff in den geschützten Wohnraum sieht Wolf mit einer solchen Maßnahme nicht. Gleichzeitig will die NRW-Landesregierung einen schnelleren Informationsaustausch für eine effektive Terrorismusbekämpfung einführen. Deshalb soll der Nachrichtenaustausch zukünftig elektronisch über eine gemeinsame Antiterror-Datei von Bund und Ländern und nicht mehr auf dem Postweg erfolgen.

Zweifel an Verfassungsmäßigkeit

Dabei bleibe das Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz unberührt. "Die gemeinsamen Dateien enthalten nur Informationen, die schon immer zwischen den Polizeien und den Nachrichtendiensten ausgetauscht werden", sagte Wolf. Unterstützung erhält Wolf vom rechtspolitischen Sprecher der nordrhein-westfälischen FDP-Landtagsfraktion Robert Orth. Seiner Meinung nach "gewährleisten die geplanten Änderungen des Verfassungsschutzgesetzes die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit für die Menschen".

Anders sieht das die Opposition an Rhein und Ruhr. So muß es nach Ansicht des innenpolitischen Sprechers der SPD-Landtagsfraktion Karsten Rudolph ausgeschlossen sein, "daß sich der Verfassungsschutz ohne richterliche Anordnung Zugang zu den Computerfestplatten der Bürger verschafft". Dieses sei "staatlich organisierter Hausfriedensbruch".

Noch schärfer kritisierte die Landtagsfraktion der Grünen die geplanten Änderungen. Ihre innenpolitische Sprecherin Monika Düker warf der nord-rheinwestfälischen FDP vor, die Erweiterung der Befugnisse des Landesverfassungsschutzes vom 18. Dezember 2002 "damals als Oppositionspartei mit Verweis auf datenschutzrechtliche Belange abgelehnt" zu haben. Dies scheine nunmehr aber vergessen zu sein.

Entschieden widersprach Düker Landesinnenminister Wolf, daß die vom Grundgesetz vorgeschriebene und vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Unverletzbarkeit der Wohnung durch die Novelle nicht beeinträchtigt werde. Genau das Gegenteil sei der Fall. Der Gesetzentwurf verstoße nämlich gegen Artikel 13 Absatz 4 des Grundgesetzes, in dem es heißt: "Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme auch durch eine andere gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen."

Kritik an geplanter Volltextdatei

Die Grünen-Politikerin verwies darüber hinaus auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004, wonach alle Regelungen zur akustischen Wohnraumüberwachung strenge Anforderungen erfüllen müßten. So etwa, daß zur Unantastbarkeit der Menschenwürde gemäß Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes die Anerkennung eines absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung gehöre, der einer Abwägung mit anderen staatlichen Interessen nicht zugänglich sei und in den nicht eingegriffen werden dürfe. Die auf Überwachung von Wohnraum zielende gesetzliche Ermächtigung müsse Sicherungen der Unantastbarkeit der Menschenwürde enthalten sowie den Vorgaben der Verfassung entsprechen. Und gerade dieses sei bei dem neuen Gesetzentwurf der Landesregierung nicht enthalten!

Auf scharfe Kritik stieß auch der Plan Wolfs zur Einrichtung gemeinsamer Volltextdateien von Verfassungsschutzbehörden und anderen Sicherheitsbehörden. Dies würde zu einer "Aufhebung der rechtsstaatlich unabdingbaren Trennung von Polizei und Verfassungsschutz" führen, kritisierte Düker. Vielmehr sollte die Zusammenarbeit durch die Einrichtung einer reinen Indexdatei sowie gemeinsamer Projektdateien verbessert werden. Die Indexdatei soll dabei Fundstellen zu Erkenntnissen über Personen aus dem Bereich des internationalen Terrorismus schneller ausfindig machen, wobei es keinen Abgleich der Inhalte dieser Dateien geben dürfe. Denn dieses würde nur Mißbrauchsmöglichkeiten Tür und Tor öffnen.


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