© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Deutschland sind wir alle
Nach der Party: Was war der schwarz-rot-goldene Taumel, Fata Morgana oder Vision?
Silke Lührmann

Wenn "Wir Deutschen" die Welt nach Hause geschickt, den ganzen schwarz-rot-goldenen Balkonschmuck und Dönerbudenzauber entsorgt und die Taxifahrer ihre Englisch-Vokabeln verlernt haben: wenn wir wieder unter uns sind, dann bleibt die Crux mit dem Nationalstolz. Was also war der "Brüderlich mit Herz und Hand"-Taumel dieses Sommers - Fata Morgana oder Vision?

Die einen sind es längst überdrüssig - und zwar in zunehmend aggressivem Tonfall überdrüssig -, ständig einzufordern, was sie für selbstverständlich halten. Die anderen merken langsam, daß man zumindest unter den herrschenden Verhältnissen schlecht beides sein kann: für schrankenlosen Internationalismus und gegen Globalisierung. Indes hapert es an jeder Verständigung darüber, was man als das Eigene, Verbindende, ja Verbindliche behaupten will. Elf Männer in kurzen Hosen können es nicht sein, und wenn sie Weltmeister geworden wären.

Eine Dauerausstellung zur Landesgeschichte (JF 25/06) - und wenn sie den Staufern zwei Etagen widmete, statt sich als Gruselkabinett rund um Hitlers Globus zu präsentieren - mag als Wegweiser dienen, ein Zielpfosten ist sie noch lange nicht. Amerikaner etwa sind stolz auf Vergangenes, gewiß, auf die Unabhängigkeitserklärung und Abraham Lincoln - vor allem sind sie stolz, die Zukunft gestalten zu können: als Wirtschaftsriese, kultureller Hegemon, politische Supermacht, weltweiter Militärpolizist. Franzosen sind stolz auf Vercingetorix, Napoleon und de Gaulle - und erst recht darauf, ihre Zukunft nicht von den Amerikanern gestalten zu lassen.

"Du bist Deutschland", das ist penetrant und doch nicht ganz falsch, aber eben auch nicht ganz richtig: Nicht ich bin Deutschland, Deutschland sind wir alle. Darauf stolz zu sein, hieße, auf sich selber stolz zu sein, um aufeinander stolz sein zu können, und aufeinander stolz zu sein, um auf sich selber stolz sein zu können: der taz-Redakteur auf den Kollegen von der JUNGEN FREIHEIT; die fünffache Mutter auf die Karrierefrau, für deren Ehrgeiz, sich in der Welt der Bürohengste und Papiertiger durchzusetzen, sie gerade noch ein todmüdes Lächeln übrig hat; der Elitestudent auf den Hartz-IV-Empfänger, der mit knapp 80 Euro die Woche auszukommen gelernt hat; und der Rütli-Schüler auf den aus Kamerun stammenden Facharzt. (Sollte der nächste Mikrozensus erweisen, daß hier nicht nur Stammtisch-Karikaturen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut leben - um so besser für Deutschland!)

Soviel Dialektik übersteigt offensichtlich einen Horizont, der derzeit zwischen Krankheitsreform und Wenigerwert-Steuererhöhung gespannt ist. Hängen wir die Sterne doch höher!


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