© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Kein überzeugendes Votum
Mexiko: Knappes Ergebnis bei Präsidentenwahl / Endgültige Entscheidung voraussichtlich erst im Herbst
Alexander Griesbach

Die Ausgangslage vor den Präsidentschaftswahlen am 2. Juli in Mexiko schien klar: Hier der "konservative", sich demonstrativ zum katholischen Glauben bekennende Kandidat Felipe Calderón Hinojosa von der Nationalen Aktionspartei (PAN), ein Befürworter von Freihandel und Globalisierung, der um die Bedeutung der guten politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA, dem übermächtigen Nachbarn im Norden, weiß. Auf der anderen Seite der "Rebell" Andrés Manuel López Obrador von der linksgerichteten Partei der Demokratischen Revolution (PRD), bei dem ausländische Kommentatoren antiamerikanischen Populismus und antikapitalistische Globalisierungskritik meinten feststellen zu können.

Mit Erleichterung nahm man daher in den "westlichen" Hauptstädten das Ende letzter Woche verkündete vorläufige Endergebnis der Wahl zur Kenntnis: 35,89 Prozent für den 43jährigen Calderón, nur 35,31 Prozent für den 52jährigen Obrador. Roberto Madrazo Pintado von Obradors Ex-Partei, der von 1929 bis 2000 herrschenden "Staats"-Partei der Institutionellen Revolution (PRI), kam auf 22,27 Prozent.

Konservativer Calderón nur knapp vor Linkem Obrador

Der befürchte "Pendelschwung zur Linken" sei ausgeblieben, und dies sei "vielleicht wichtigste Botschaft der mexikanischen Wahlen", schrieb etwa die FAZ. Bereits am Freitag gratulierten US-Präsident George W. Bush, der kanadische Premierminister Stephen Harper und Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero dem PAN-Kandidaten zu dessen Sieg. EU-Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso wartete immerhin bis Sonntag mit der Gratulation.

"Du bist nicht allein" und "Obrador, Obrador", riefen hingegen am selben Tag die etwa 200.000 Anhänger von Obrador, die auf dem großen Zócalo-Platz im Zentrum der Hauptstadt Mexiko-Stadt demonstrierten. Obrador - von ihnen kurz AMLO genannt -, bis 2005 Hauptstadtbürgermeister, hatte am Vortag zum Widerstand gegen das vorläufige Ergebnis aufgerufen. Er habe "Beweise", daß das Wahlergebnis auf Grund von Betrug zustande gekommen sei: Die Wahlkommission IFE, die gegnerische Partei PAN und der größte TV-Sender Televisa seien daran beteiligt gewesen. Für die kommenden Tagen sind weitere Großdemonstrationen geplant.

Obrador lag in den Meinungsumfragen lange Zeit vorn. Erst kurz vor dem Wahltermin wendete sich das Blatt. Laut IFE gaben 244.000 Stimmen mehr für Calderón den Ausschlag. Zugleich gab es aber bereits während der Auszählung Hinweise auf Manipulationen - die Auszählung zog sich über mehrer Tage hin. Zwischendurch waren sogar 2,5 Millionen Stimmen "verschwunden".

Nachzählungen ergaben zusätzliche Stimmen für Obrador und die PRD - aber scheinbar nicht genug. Obrador wird die Wahl nun beim Bundeswahlgericht TRIFE anfechten, so daß möglicherweise erst im Herbst der Sieger definitiv feststehen könnte. Die Amtszeit des seit 2000 regierenden Präsidenten Vicente Fox Quesada (PAN) läuft zum 1. Dezember 2006 aus.

Daß der Wahlausgang - laut mexikanischem Wahlrecht reicht die relative Mehrheit im ersten Wahlgang - alles andere als ein überzeugendes Votum ist, weiß auch Calderón. Im Kongreß hat seine liberal-konservative PAN künftig 35 Prozent der Sitze, Obradors linke PRD 29 Prozent. Zünglein an der Waage ist die 2000 wegen Vetternwirtschaft und Korruption abgewählte einstige "Einheitspartei" PRI mit 28 Prozent. Die Legislaturperiode des Präsidenten dauert sechs Jahre, Senatoren und Kongreßabgeordnete werden aber alle drei Jahre gewählt.

Calderón beeilte sich deshalb - schon ganz staatsmännisch - über den Tag hinauszuweisen, als er verkündete, sich um "Aussöhnung" bemühen zu wollen. Dazu gehörte auch eine Geste in Richtung Obrador, dem er "Gerechtigkeitssinn" attestierte. Überraschend kündigte der Wirtschaftsexperte und Harvard-Absolvent Calderón an, den vielen armen Mexikanern eine "Chance zur Überwindung ihrer Situation" eröffnen zu wollen. Bei seinen Anhängern stieß er mit dieser Botschaft allerdings auf wenig Gegenliebe; sie erinnerte die-se Ankündigung wohl zu sehr an die Forderungen des "Demagogen" Obrador. Als ebensolcher war er auch von Calderón immer wieder charakterisiert worden, wenn dieser insinuierte, Obrador plane Landbesetzungen, stünde für Wirtschaftschaos oder wolle eine "autoritäre Herrschaft".

Der auch immer wieder erfolgte Vergleich Obradors mit dem linksnationalen, US-feindlichen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez in einen Topf zu schmeißen, hat mit der mexikanischen Realität allerdings wenig zu tun. Neutrale Beobachter wie Günther Maihold, Vizedirektor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, weisen darauf hin, Obrador habe "sich nicht wie Chávez als Putschist profiliert, sondern sich als Bürgermeister von Mexiko-Stadt immer im Rahmen der Institutionen bewegt". Von einer "Revolution für die Armen" sei in Obradors Wahlprogramm keine Rede, so Maihold. Auch die Macht des Faktischen würde Obrador Grenzen setzen: Die USA und Kanada nahmen im letzten Jahr 88 Prozent der Exporte Mexikos ab. Die Überweisungen der vielen mexikanischen Auswanderer sind nach dem Erdöl die zweitgrößte Einkommensquelle Mexikos. Die starke Abhängigkeit vom US-Markt hätte Obradors möglichem (verbalen) Konfrontationskurs ökonomische Fesseln angelegt.

Deregulierung statt Umverteilungsprogrammen

Allerdings hätte Obrador, der unter dem Wahlmotto "Für das Wohl aller - die Armen zuerst" angetreten war, wahrscheinlich die Sozialpolitik - dank sprudelnder Öleinnahmen - deutlich anders als Fox akzentuiert. Etwa 40 Prozent der Mexikaner leben unter der Armutsgrenze. Zwanzig Prozent derjenigen Mexikaner, die an der Spitze der Einkommenspyramide stehen, verfügen über 50 Prozent des Volkseinkommens. Mit entsprechenden staatlichen Umverteilungsprogrammen hätte Obrador wohl für Aufsehen gesorgt, ausländische Investoren verschreckt und seinen Ruf als unberechenbarer "Linkspopulist" bestätigt.

Calderón will hingegen die Linie seines Vorgängers Fox - eines Ex-Coca-Cola-Managers - beibehalten. Liberalisierung und Deregulierung soll noch mehr ausländisches Kapital ins Land holen und so Arbeitsplätze schaffen. Obrador versprach hingegen weiteren Privatisierungen Einhalt zu gebieten. Er hatte beispielsweise angekündigt, die Einfuhr an Grundnahrungsmitteln aus dem Ausland einzudämmen. Wie er das innerhalb der Nordamerikanischen Freihandelszone Nafta durchsetzen wollte, wird die Welt nun vorerst wohl nicht erfahren.

Foto: Präsidentschaftskandidat Obrador vor Anhängern in Mexiko-Stadt: Stabilität des Landes für die nächsten Jahre in Frage gestellt


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