© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/06 14. Juli 2006

Eine Staatsaffäre im Kartoffelstaat
Polen II: Eine geschmacklose Satire hat eine diplomatische Krise mit Deutschland ausgelöst / Kaczynskis wollen deutsche Entschuldigung
Lubomir T. Winnik

Polens neue Kartoffel-Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Lech 'Katsche' Kaczyński", war ein bissiger Artikel in der Berliner taz vom 26. Juni überschrieben, den angesichts des Fußballfiebers kaum ein deutscher Leser wahrnahm. Der unter dem reißerischen Titel abgedruckte Text war denn eher mittelmäßig: "Mit geballter Schubkraft wollen die Brüder nun die letzten lebenden Kommunisten aus Staat und Gesellschaft blasen. Zudem soll das Parlament über hundert Gesetze mit dem Kopf abnicken, ohne der Regierung mit Kritik auf die herrliche Nase zu treten" oder "Wie Piłsudski sind die Kaczyńskis Polen bis über beide Ohren, und das Vaterland sitzt ihnen wie angegossen", konnte man da etwa lesen.

Viele polnische Karikaturen über "Erpel" Kaczynski

Da eine diplomatische Beschwerde von der Bundesregierung in Berlin mit dem Hinweis auf die Pressefreiheit zunächst kühl zurückgewiesen wurde, legte der Chef der polnischen Präsidentenkanzlei, Maciej Łopiński, letzte Woche nach und verglich die taz mit dem NS-Blatt Der Stürmer. Der designierte Premier Jarosław Kaczyński bezeichnete die taz-Satire über ihn und seinen Zwillingsbruder, Staatspräsident Lech Kaczyński, letzten Montag in einem Interview mit dem Boulvardblatt Wprost als "Beleidigung" und sogar als "Verbrechen".

Der taz-Autor wollte wohl angesichts des journalistischen Sommerlochs anscheinend nur noch mal seine Enttäuschung darüber loswerden, daß die Polen 2005 anders gewählt hatten als von der taz erwartet: Postkommunisten und Liberale bekamen zusammen weniger Stimmen als die "Rechten", der "westliche" Favorit Donald Tusk unterlag mit 46,5 zu 53,5 Prozent dem zunächst verlachten Lech Kaczyński.

Auffallend ist, daß die postkommunistischen Vorgänger des gegenwärtigen Staatspräsidenten und der Regierung von den taz-Genossen bislang immer sichtlich geschont wurden. Allein deren Affären aus den letzten vier Regierungsjahren hätten genug Stoff für eine ganze taz-Satire-Serie hergegeben. Doch erst seit 2005 darf man aus allen Rohren gegen Polen ballern, denn da regieren ja nun die "Rechten" - wobei auch das bestenfalls die halbe Wahrheit ist. Die Sozialpolitik von Kaczyńskis Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) erinnert eher an Sozialdemokraten, den Koalitionspartner Samoobrona könnte man sogar als "linkspopulistisch" einordnen.

Andererseits stimmt weder die Behauptung von Lech Kaczyński, die taz-Satire gehe über alle Grenzen "wenigstens in unserer politischen Zivilisation" hin-aus. Auch der inzwischen zurückgetretene Premier Kazimierz Marcinkiewicz liegt falsch mit seiner Bemerkung, in Polen würde sich niemand erlauben, "so über das Staatsoberhaupt herzuziehen". Seit Lech Kaczyńskis Wahl überflutet das Land, die Medien und das Internet (http://kaczor.uk.pl) eine beispiellose "Kaczor"-Hetzwelle. Unzählige zum Teil obszöne Witze, geschmacklose Karikaturen über "Erpel" Kaczyński, vulgäre Computercollagen und Animationen sorgen seit Monaten für Erheiterung bzw. Aufregung - je nach politischem Standpunkt. Gewiß, der eigenwillige Regierungsstil der Zwillinge liefert den Witzemachern genug Munition. Wenn aber die Deutschen nun auch bissige und geschmacklose Kritik an Polen wagen, dann wird nicht nur von der Boulevardpresse das Kriegsbeil ausgegraben.

"Die Gebrüder Kaczyński genießen in Polen generell keinen schmeichelhaften Ruf. Darum machen sich auch die Polen wenig Gedanken über den taz-Artikel", erklärt Aleksandra Rewolinska, Studentin aus Gdingen, der JUNGEN FREIHEIT. "Unsere Medien sind mehrheitlich nicht den deutschen Medien, sondern diesen beiden Herren gegenüber nicht sehr wohlwollend." Aber der Bogen sei hier wohl etwas überspannt wurden, "denn auch die Satire muß ihre Grenzen haben". Sie hält die ganze Aufregung für übertrieben. Sie sei keine Anhängerin des postkommunistischen Ex-Präsidenten Aleksander Kwaśniewski gewesen. Aber der habe Stil gehabt: "Er war gewandt in der Diplomatie, er repräsentierte Polen würdig nach außen", meint die 23jährige Studentin. Dem jetzigen Präsidenten fehlten diese Qualitäten. "Seine Reaktion gefällt mir nicht."

Adam Piesiewicz, Rechtsanwalt aus Warschau, vermutet, daß sogar die aus Gesundheitsgründen erfolgte Absage des Treffens des "Weimarer Dreiecks" mit den Amtskollegen aus Berlin und Paris mit der taz-Satire zu tun habe. "Nun sieht man ihn schön gebräunt und bei bester Gesundheit wieder." Die junge Generation in Polen habe aber nicht das geringste gegen die Deutschen. "Dafür aber eine ganze Menge gegen Lech Kaczyński, da bin ich sicher", erklärte der 30jährige Warschauer de JF. Wahlanalysen von 2005 kamen zu ähnlichen Ergebnissen - Kaczyński verdankt seinen Wahlsieg der älteren Generation. Kaczyńskis Problem sei seine Unfähigkeit, Kritik zu ertragen. Auch seine unzureichenden Aktivität in der Außenpolitik - im krassen Unterschied zu seinem Vorgänger - sei für einen großen Staat wie Polen nicht vertretbar. Deutschenhaß gebe es in seiner Generation, die kein Kriegstrauma mehr kenne, nicht mehr. "Im Gegenteil, wir Polen schätzen deutsche Arbeitsmoral, Wirtschaftlichkeit und Organisation." Der Rummel um die taz sei eher ein Generationenproblem.

"In Deutschland sah ich vor Jahren an den Wänden ekelerregende Karikaturen über den polnischen Papst", erzählt Andrzej Rokosz, Architekt aus Krakau, der JF. "Doch dieser hat niemals darauf reagiert." Die Presse habe bekanntlich ihre Freiheit. "Wäre der Präsident ein Mensch mit Niveau, hätte er die Schmierereien in dem deutschen Blatt völlig außer acht gelassen", meinte der 63jährige. "Der Premier wird gekippt und an seine Stelle der Bruder gesetzt - wir leben wohl in der Tat in einem Kartoffelstaat."


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