© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/06 07. Juli 2006

Ausländische Vorbilder taugen nicht viel
Gesundheitspolitik: Die Versorgungssysteme stehen weltweit unter Druck / Spitzenqualität kostet mehr - entweder Beiträge oder Steuern
Jens Jessen

Die Gesundheitssysteme stehen weltweit unter Druck. Steigende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen bei unzureichender Finanzierung wird nach einer Studie von Price-Waterhouse-Cooper (PWC) ohne weitreichende Strukturänderungen dazu führen, daß in den kommenden 15 Jahren viele Gesundheitssysteme kollabieren. Aus dem internationalen Vergleich, so PWC, läßt sich kein Leitbild für die Schaffung eines auf Dauer finanzierbaren Gesundheitssystems in Deutschland ableiten.

Das Kieler Institut für Gesundheits-System-Forschung (IGSF) kommt für Deutschland zu dem Ergebnis, daß moderne Medizin so, wie sie von Politikern gefordert und der Bevölkerung versprochen wird, unbezahlbar ist. Medizinischer Fortschritt für alle, keine Wartezeiten, zuwendungsorientierte Pflege - alles ist Aufwand, der bezahlt werden muß. Hinzu kommt ein teurer bürokratischer Aufwand. Nichts spreche dagegen, nach neuen Finanzierungsmodellen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu suchen. "Ein neues Finanzierungsmodell bedeutet aber nicht, daß damit die Probleme der GKV, die Probleme der Gesundheitsversorgung unserer Bevölkerung dauerhaft gelöst sind", stellte das IGSF fest.

Ein von Health Consumer Powerhouse durchgeführter Vergleich der öffentlichen Gesundheitssysteme in den 25 EU-Ländern und der Schweiz sieht Frankreich, die Niederlande und Deutschland auf den Spitzenplätzen. Die GKV zeichne sich durch ihren umfangreichen Leistungskatalog (inklusive zahnärztliche Versorgung) aus, den kein anderes Land besitze - mit den weltweit geringsten Zuzahlungen. Deutschland führe generell bei kurzen Wartezeiten, beim Zugang zu neuen Arzneimitteln, der Bezuschussung von Medikamenten und der Möglichkeit, bei ärztlichen Untersuchungen eine Zweitmeinung einholen zu können.

Wer mit dem französischen Modell der zusätzlichen Steuerfinanzierung liebäugelt, muß auch die GKV-Leistungen mit den französischen Pendant vergleichen. Die Steuerfinanzierung, die 1991 mit einer Sozialsteuer von 7,5 Prozent (CSG), eingeführt wurde, erfaßt jede Art von Einkommen, so auch Zinsen oder Mieten. Die CSG bezieht sich auf 97 Prozent des Bruttoeinkommens. 1996 wurde die CSG ergänzt durch die CRDS mit 0,5 Prozent, und 1997 wurde noch eine soziale Zusatzsteuer mit zwei Prozent draufgesattelt. Die zehn Prozent Sozialsteuern auf das Einkommen werden dadurch relativiert, daß heute 5,1 Prozent des CSG-Steuersatzes von der Basis der Einkommensteuer abgezogen werden können. Außerdem senkte die Regierung 1998 die Sozialversicherungsbeiträge zur staatlichen Krankenversicherung von über acht Prozent auf 0,75 Prozent. Ein Trick, der verbirgt, daß die Sozialversicherungsbeiträge (von den Löhnen berechnet) erheblich weniger einbringen als die CSG-Steuereinnahmen, die alle Einkommensarten erfassen.

Steuerfinanzierung in Dänemark und Frankreich

Die Unternehmen sind an der Finanzierung der staatlichen Gesundheitskasse mit 12,8 Prozent der Löhne und Gehälter beteiligt. Dieses Mischsystem erlaubt vorzüglich eine Verschleierung der Finanzierung des Gesundheitswesens. Es entspricht nicht dem Wunsch nach Transparenz, von der die Kritiker des Gesundheitswesens in Deutschland immer reden. Allerdings müssen die französischen Patienten Gesundheitsleistungen bezahlen, bevor die Kassen sie erstatten. Die französischen Erfahrungen deuten an, daß die Kostenerstattung ein geeignetes Instrument zur Dämpfung der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen ist.

Dazu kommt, daß die obligatorische, einheitliche staatliche Gesundheitskasse nur 70 Prozent der Behandlungskosten bezahlt. Der Rest kann privat versichert werden. Wenn die ambulante Behandlung über 91 Euro kostet, hat der Patient sich mit 18 Euro zu beteiligen. Auch hier hilft eine Zusatzversicherung. Mit Kontrollen werden Krankschreibungen auf ihre medizinische Berechtigung überprüft. (15 Prozent der Krankschreibungen waren 2004 medizinisch nicht haltbar. Nach Kontrollen mußten 17 Prozent der Langzeit-Krankgeschriebenen die Arbeit wieder aufnehmen.)

Die Dänen besitzen ein simples und damit auch transparentes System. Alle Bürger im dänischen Königreich zahlen über die Einkommensteuer von maximal 64 Prozent in die Basisrente (ab Vollendung des 67. Lebensjahres) sowie die Arbeitslosen- und Krankenversicherung ein. Zusätzliche Krankenkassenbeiträge gibt es nicht. Die Arbeitskosten werden deshalb auch nicht belastet. Das Gesundheitswesen ist staatlich dominiert (zu 80 Prozent direkt aus öffentlichen Kassen finanziert). Den Rest tragen die 5,5 Millionen Einwohner durch Eigenbeteiligung, vor allem bei Zahnärzten und Medikamenten.

Die Schweizer Gesundheitsreform von 1996 mit Kopfpauschale und dem viel gepriesenen Hausarztmodell gilt als gescheitert, denn die versprochene Kostendämpfung trat nicht ein. Die PWC-Ergebnisse bestätigen, daß sich aus dem Ausland kein Leitbild für die Schaffung eines auf Dauer finanzierbaren Gesundheitssystems in Deutschland ableiten läßt. Auch die ideologischen Pirouetten der Politiker und ihrer Sachverständigen helfen da nicht weiter.


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