© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/06 07. Juli 2006

Eine Lücke in der Dichterwelt
Nachruf: Robert Gernhardt
Bernd Christoph Ströhm

Traurige Erschütterung, der Tod hat wieder zugeschlagen. Robert Gernhardt, einer der größten zeitgenössischen Schriftsteller, Lyriker und Karikaturisten, ist am Freitag voriger Woche im Alter von 68 Jahren in Frankfurt am Main gestorben.

Gernhardt gehörte zu den kritischsten Dichtern der Gegenwart. Bekannt und berüchtigt für seine satirischen Texte und Karikaturen, war er ein Mann, der die Kunst der Dichtung über alles liebte. Geboren wurde Robert Gernhardt am 13. Dezember 1937 als Sohn eines Richters im estnischen Reval (heute Tallin) - wie auch der inzwischen verstorbene langjährige Welt-Osteuropakorrespondent und spätere JF-Autor Carl Gustaf Ströhm, mit dessen Familie Gernhardt verwandt war. Zwei Jahre später siedelten die Gernhardts nach Posen über, nach Kriegsende wurde die Mutter mit ihren drei Kindern - der Vater war 1945 gefallen - von Russen und Polen vertrieben.

Gernhardt zeigte schon im frühen Alter seine Begeisterung für Lyrik und Poesie und fand stets Trost in Dichtern wie Wilhelm Busch oder Georg Trakl. Nach seiner Schulausbildung in Göttingen studierte er 1956 Germanistik und Malerei in Stuttgart und Berlin. Seit 1964 lebte er als freiberuflicher Zeichner und Schriftsteller in Frankfurt am Main. In erster Ehe von 1965 bis zu ihrem Tod 1989 mit der Malerin Almut Ullrich verheiratet, hinterläßt er nun seine zweite Frau Almut Geheb.

Gernhardt, der die Mißstände unserer Gesellschaft früh erkannte, war 1964/65 Redakteur der Satirezeitschrift Pardon, wo er zu den Mitbegründern der Rubrik "Welt im Spiegel" zählte; dort veröffentlichte er seine ersten satirischen Texte und revolutionierte die neuere humoristische Literatur. Zusammen mit Friedrich Karl Waechter, F. W. Bernstein, Chlodwig Poth, Eckard Henscheid und anderen gründete er die "Neue Frankfurter Schule", deren Publikationsorgan das Satiremagazin Titanic wurde. Gernhardt galt als führender Vertreter dieser Richtung, seine Popularität wuchs stetig, bald zählte er zu den bedeutendsten Dichtern deutscher Sprache.

Er veröffentlichte zahlreiche Werke wie "Die Wahrheit über Arnold Hau", "Gernhardts Erzählungen" oder "Im Glück und anderswo". Sein erster eigenständiger Gedichtband, "Wörtersee", erschien 1981, danach folgten unter anderem die Lyrik-Sammlungen "Körper in Cafés", "Reim und Zeit", "Weiche Ziele". Zuletzt erschienen von ihm die Bände "Herz in Not" und "K-Gedichte", in denen Gernhardt sich nach einem Herzinfarkt und einer Bypass-Operation unter anderem mit seiner eigenen lebensbedrohenden Krankheit auseinandersetzte. Für seine literarischen Leistungen bekam er zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt 2004 den Heinrich-Heine-Preis.

Robert Gernhardt schrieb bis zuletzt an seinem Band mit Erzählungen, "Später Spagat". Nur der Tod konnte diesem großartigen Lyriker und Zeichner die Feder aus der Hand schlagen. Sein Ableben reißt eine gewaltige Lücke in der Dichterwelt, einer wie er ist weit und breit nicht mehr unter uns.

Robert Gernhardt neben Heine-Büste (2004)


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