© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/06 07. Juli 2006

Eckstöße: Marginalien zur Fußball-WM (Folge XVIII)
Gerechte Quittung
Arthur Hiller

Mit dem Ausscheiden von Argentinien und Brasilien im Viertelfinale ist die Weltmeisterschaft zu einer rein innereuropäischen Angelegenheit geworden. In historischer Betrachtung kann dies nicht überraschen. Immer dann, wenn das Turnier auf dem alten Kontinent ausgetragen wurde, hatten lateinamerikanische Nationalmannschaften einen schweren Stand. Ein einziger Titel, errungen von den Brasilianern 1958 in Schweden, ist dabei für sie herausgesprungen. Insbesondere Deutschland scheint ihnen als Gastgeberland nicht zu liegen. 1974 rangierte Argentinien in der damals noch in Gruppen ausgetragenen Finalrunde sogar hinter der DDR. Brasilien mußte sich im Spiel um Platz 3 Polen geschlagen geben. Diesmal sollte es nicht einmal so weit kommen.

Das frühzeitige Aus der beiden im Vorfeld der WM als Top-Favoriten gehandelten Mannschaften müßte bedauert werden, wenn das Turnier dadurch irgendwelcher Delikatessen beraubt worden wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Die Argentinier boten bestenfalls einen taktisch disziplinierten Mannschaftsfußball, der langweilte, von Überheblichkeit gekennzeichnet war und erfolgreich verbarg, daß einzelne Akteuere möglicherweise zu mehr in der Lage gewesen wären. Die im Fußballfeuilleton ehrfurchtsvoll als Halbgötter in Grün-Gelb gepriesenen Brasilianer entpuppten sich als stinknormale Bürokratenkicker, deren Esprit selbst jenen der deutschen Nationalmannschaft in den grausamsten Momenten der Vogts- und Ribbeck-Ära nicht merklich überragte.

Die Überraschung über die Darbietungen der Argentinier und Brasilianer und die gerechte Quittung, die sie für diese erhielten, ist aber nur deshalb so groß, weil vor dem Turnier völlig unangemessene Erwartungen an den "modernen" Fußball, den es wohl bieten würde, ins Kraut schossen. Schon nach wenigen Partien stellte sich jedoch heraus, daß alles so bliebe wie es immer war. Taktische Vorsicht ist nicht hinter der Freude an der Offensive zurückgetreten. Hochgeschwindigkeitsfußball, in dem herausragende Spieler für Überraschungsmomente sorgen, gab es so gut wie nicht zu sehen. Es galt unverändert die alte Weisheit, daß jede Mannschaft nur so gut sein kann, wie es der Gegner zuläßt. Aus einer gesicherten Abwehr mit Geduld auf Fehler des Kontrahenten warten: Diese Maxime, für die Rudi Völler 2002 und Otto Rehhagel 2004 belächelt wurden, haben sich 2006 nahezu alle Teams zueigen gemacht.

Auch das Zungenschnalzen, mit dem die Vorfreude auf vermeintliche Stars geweckt wurde, hat sich als ungerechtfertigt erwiesen. Hier ist man wohl schlicht einer Verwechslung aufgesessen. Manche Akteure mögen einen hohen Marktwert haben. Ausnahmespieler sind sie aber deshalb noch lange nicht.


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