© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/06 07. Juli 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Verantwortung
Karl Heinzen

Die Agitation gegen den Abbau des Sozialstaates steht zu Recht unter dem Verdacht, von wohlstandschauvinistischem Egoismus gekennzeichnet zu sein. Staatsbürger oder legal in Deutschland lebende Ausländer wehren sich gegen die Preisgabe von Privilegien, von denen die Menschen in den allermeisten Regionen der Welt nur träumen können. Diese Mentalität wird genährt durch auch von links betriebene Versuche, ausgerechnet den Nationalstaat gegen die Globalisierung in Stellung zu bringen. Das Bestreben der Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/ Die Grünen sowie der Linkspartei scheint nun zu sein, die Debatte aus dieser Sackgasse herauszuführen. Ihrer sozialen Kernkompetenz folgend, nicht für Wähler, sondern für die Menschen allgemein zu sprechen, lenken sie in zwei parlamentarischen Initiativen den Blick auf das Schicksal der ca. eine Million Flüchtlinge, die sich "illegal" in der Bundesrepublik aufhalten. Ihnen werden elementare Menschenrechte und Sozialleistungen vorenthalten. Wer ihnen als Schleuser, Arzt, Kindergärtner oder Schuldirektor helfen will, muß sogar Strafverfolgung gewärtigen. Nicht wenige von ihnen sind machtlose Opfer von Profiteuren in der Schattenwirtschaft, die ihre Arbeitskraft gewissenlos ausbeuten.

In einer Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages erhielten diese Initiativen jetzt die Unterstützung nahezu aller eingeladenen Experten. Berthold Sommer, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, stellte klar, daß "das Prinzip der Menschenwürde letztlich Vorrang haben muß". Michael Bommes, Migrationsforscher an der Universität Osnabrück, betonte, daß Menschen, die sich auf dem Territorium eines Staates aufhalten, immer das "Recht auf Erfüllung elementarer Lebensbedürfnisse" hätten.

Das letzte Wort kann damit allerdings kaum gesprochen sein. Warum sollte sich das Recht auf Unterstützung vom Zufall des aktuellen Aufenthaltsortes ableiten? Haben in einer interdependenten Welt nicht alle Menschen, ganz gleich, wo sie leben mögen, das Recht, an unserem Wohlstand zu partizipieren? Überdies ist zu fragen, ob sich aus derartigen Rechten von Flüchtlingen in unserem Land nicht auch entsprechende von deutschen Touristen ableiten, die als Kurzzeitmigranten in alle Welt ausschwärmen. Bislang muß jeder, der aus der heimatlichen Unwirtlichkeit etwa an die Mittelmeerstrände flüchtet, für seine Kosten selbst aufkommen. Wäre es nicht legitim, hier endlich Italien, Spanien oder Griechenland in die Verantwortung zu nehmen?


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