© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/06 07. Juli 2006

Vermittler zwischen Brüssel und Moskau
EU II: Finnland hat die EU-Ratspräsidentschaft übernommen / Deutsch soll keine Arbeitssprache sein
Anni Mursula

Am 1. Juli übernahm Finnland zum zweiten Mal seit dem EU-Beitritt 1995 die EU-Ratspräsidentschaft. Die vergangenen sechs Monate hatte Österreich den Ratsvorsitz inne, 2007 folgt Deutschland.

Doch zwischen den beiden deutschsprachigen Präsidentschaften tanzt die kleine nordische Nation aus der Reihe: Finnland will in seiner Amtszeit Deutsch nicht als offizielle Arbeitssprache fördern und übersetzt deshalb alle Dokumente nur ins Englische und Französische. Schon während ihrer ersten Präsidentschaft 1999 hatten sich die Finnen geweigert, Deutsch als Arbeitssprache zu gebrauchen. Und jetzt argumentieren sie, wer im EU-Parlament nicht Englisch könne, habe den falschen "Job" gewählt.

"Deutsch wird nie eine Weltsprache werden"

"Finnlands Entscheidung zugunsten von nur zwei Arbeitssprachen ist völlig legitim in einer Union, in der es unglaublich viele Sprachen gibt", erklärte Eija-Riitta Korhola der JUNGEN FREIHEIT. Die 47jährige ist Mitglied der Nationalen Koalitionspartei (KK), die der Europäischen Volkspartei-Fraktion (EVP-ED) im EU-Parlament angehört. Als Repräsentant eines kleinen Landes mit fünf Millionen Finnischsprachigen hat man sich auf Fremdsprachen eingestellt - denn wer spricht schon Finnisch? Deutsch als Muttersprache sprechen über 90 Millionen Europäer.

Das ist für Korhola kein Argument: "Wenn man zusätzlich zu Englisch und Französisch noch Deutsch als Arbeitssprache akzeptiert, kann man genausogut fragen, warum die vielen anderen Sprachen nicht berücksichtigt werden. Ich verstehe nicht, warum die Größe eines Landes hier eine Rolle spielen sollte." Persönlich sei sie sogar dafür, daß nur noch eine Sprache gelte.

Ihr finnischer EU-Parteikollege Alexander Stubb empfiehlt den Deutschen in dieser Hinsicht etwas mehr Vernunft. "Sprache sollte nicht zu einer emotionalen oder politischen Frage gemacht werden, sondern als ein Mittel zur Kommunikation dienen", sagte der 38jährige KK-Politiker der JF. "Ich persönlich bin zwar sehr stolz darauf, daß ich Deutsch sprechen kann. Trotzdem ist und wird Deutsch nie eine Weltsprache werden." Außerdem müßten die ungeheuren Übersetzungskosten in Betracht gezogen werden, wenn alle Dokumente in die vielen EU-Sprachen übersetzt würden. Stubb ist unter anderem für die Berichterstattung über die Übersetzungskosten der EU zuständig. "Aber wenn Deutschland jetzt Weltmeister wird, können wir noch mal darüber sprechen", meinte der Abgeordnete mit einem Grinsen.

"1999 haben wir noch in einer Art Hoch-Zeit der EU gelebt", sagte Stubb. "2000 hat sich das alles gewendet. Momentan ist die Stimmung fast vergiftet." In vielen Ländern herrsche ein richtiger Europessimismus, was mit dem schlechten Wirtschaftswachstum der EU zusammenhänge. Auch die Rückschläge bei der EU-Verfassung hätten sich dabei niedergeschlagen.

Damit hat Finnland in seiner Amtszeit eine harte Nuß zu knacken. Denn in den nächsten zwei Perioden soll ein Neuanlauf für die gescheiterte Verfassung durchgesetzt werden. Sowohl Finnland als auch Deutschland haben diese Entscheidung befürwortet und wollen die Konstitution in ihrer Amtszeiten endgültig durchboxen. Das finnische Parlament will den EU-Vertrag im Herbst ratifizieren. "Ich glaube fest an eine gemeinsame EU-Verfassung", beteuerte Korhola gegenüber der JF. "Sie würde eindeutige Klarheit in den europäischen Vertragsdschungel bringen." Auch Stubb vertritt die positive Linie Finnlands zur Verfassung. "Deutschland hat in dieser Sache eine eindeutige Führungsrolle übernommen, was ich sehr gut finde." In den Medien sei viel über eine "tote" Verfassung berichtet worden. "Ich bin völlig anderer Meinung. Ich kann es nicht gut finden, daß nur zwei Staaten - Frankreich und Holland - über das Schicksal von über 450 Millionen Menschen entscheiden", so Stubb. Außerdem würden die existierenden Probleme der EU keinesfalls durch eine Ablehnung der Verfassung verschwinden.

Finnland will in seiner Präsidentschaft in Fragen der EU-Erweiterung vermitteln und überdies Umwelt- und Energiefragen, Bildung und Forschung ansprechen. Außerdem soll die traditionell rege, aber neutrale Beziehung zum großen Nachbarn genutzt werden, um eine Energiepartnerschaft der EU mit Rußland zu schmieden. Dazu wurde auch Präsident Wladimir Putin zu einem informellen EU-Gipfel eingeladen, der im Oktober im finnischen Lahti stattfinden soll.

Energiepartnerschaft mit Rußland voranbringen

"Finnland will zwischen der EU und Rußland als Vermittler fungieren und ihre Beziehungen auch über Energiepolitik und Wirtschaft hinaus erweitern", meinte Korhola. Sicherheitspolitisch verfolge Finnland zwar immer noch eine neutrale Linie gegenüber Rußland, das müsse laut Korhola aber nicht unbedingt im Widerspruch zur gemeinsamen EU-Sicherheitspolitik stehen. "Allerdings muß man gegenüber Rußland auch mutig sein. Eine Energieabhängigkeit darf nicht dazu führen, daß man die Menschenrechtsverletzung dort duldet", sagte Korhola, die auch im für Menschenrechte zuständigen EU-Ausschuß sitzt.

Von dem kleinen Land an der Peripherie Europas werden während seiner Präsidentschaft keine großen Sprünge erwartet. Für Finnland selber bedeutet der Ratsvorsitz allerdings wichtige Publizität innerhalb der Union und in Brüssel. "Uns finnischen Abgeordneten ist es wichtig, jetzt die Parteidifferenzen ruhen zu lassen. Denn die Ratspräsidentschaft ist Vaterlandssache und auf dessen Kosten darf man keine Politik betreiben", sagte Stubb der JF.

Foto: EU-Abgeordnete Korhola und Stubb: Für die "tote" EU-Verfassung


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