© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/06 07. Juli 2006

Verwehrte Ehrung
Vergangenheitsbewältigung: Die Universität Marburg streitet um die Doktorwürde für Helmut Schmidt
Christian Vollradt

An der Marburger Philipps-Universität ist ein Streit über die geplante Verleihung eines Ehrendoktors an Altkanzler Helmut Schmidt entbrannt. Der 87jährige SPD-Politiker soll für seine für seine Verdienste um die Philosophen Immanuel Kant und Karl Popper geehrt werden, heißt es im Antrag des Philosophieprofessors Peter Janich. Im zuständigen Fachbereichsrat ist der Vorschlag jedoch nicht auf einhellige Zustimmung gestoßen, laut Presseberichten kam es zu einem heftigen Disput. Die Debatte darüber soll noch bis zum 19. Juli geführt werden, bevor seitens der Universität eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Der Promotionsausschuß der Universität hat nach Informationen des Hessischen Rundfunks zuvor den Vorschlag einstimmig befürwortet.

Einer der vehementesten Gegner dieser akademischen Würde für den Ex-Bundeskanzler ist der Politologe Frank Deppe. In einem mehrseitigen Votum legte der Professor dar, weswegen er gegen die Verleihung des Doktortitels honoris causa an Schmidt ist.

Deppe war es auch, der sich nicht an das von der Universität gewünschte Stillschweigen hielt, sondern in einem Interview mit der Jungen Welt seine Position ausführlich öffentlich machte. Darin nennt der Marburger Politikwissenschaftler, der kurz vor seiner Emeritierung steht, als Grund für seine Ablehnung zunächst, daß von den Befürwortern keine "herausragenden wissenschaftlichen Leistungen" benannt worden seien, die laut Promotionsordnung vorliegen müßten.

Vor allem nennt Deppe eine Ehrendoktorwürde für Schmidt eine "öffentliche Distanzierung" von der Geschichte des entsprechenden Fachbereichs, in dem "immer Wissenschaftler, Professoren und Studierende tätig (waren), die wissenschaftlich wie politisch in der Kontroverse mit Schmidt standen". Der habe diese "Marburger Schule" stets als "zu links attackiert" und Poppers kritischen Rationalismus "als Instrument des Kampfes gegen den Marxismus und gegen die kritische Theorie" benutzt.

Doch damit nicht genug. Laut Deppe steht Schmidt auch als Herausgeber und Autor der linksliberalen Wochenzeitung Die Zeit für Positionen, die "nicht nur für Linke empörend" seien. Dazu gehöre, daß Schmidt sich gegen Flächentarifverträge ausspreche und zum "Wortführer eines neonationalistischen Diskurses" geworden sei, der "soweit geht, daß, wenn es nach ihm ginge, keine Türken mehr ins Land dürften".

Schon bald nach Bekanntwerden der Auseinandersetzungen kamen Gerüchte auf, wonach seitens der Initiatoren der Ehrenpromotion des Altkanzlers tatsächlich ein Bruch mit der Tradition der "Marburger Schule" bewußt einkalkuliert worden sei. Insbesondere seit 1968 galt der Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie, dessen Bezeichnung (anstelle der mittlerweile wieder üblichen Philosophischen Fakultät) noch ganz an universitäre "Reformprojekte" erinnert, als "rote Kaderschmiede". Hauptanteil daran hatte der Politologe Wolfgang Abendroth (1906-1985).

Vor dem Zweiten Weltkrieg Mitglied der KPD, erhielt Abendroth durch Fürsprache der sozialdemokratischen Regierung Hessens einen Lehrstuhl in Marburg und profilierte sich auch in der SPD als Vertreter des marxistischen Flügels. 1961 schloß ihn die Partei aus, weil er sich weiter als Fürsprecher des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) betätigte, von dem sich die SPD inzwischen losgesagt hatte. Abendroth wirkte außerdem als Verbindungsmann des DDR-Regimes, den die SED für Kampagnen gegen die bundesdeutsche Regierung (etwa gegen die Notstandsgesetze) einspannte.

Insofern wirkt die geplante Ehrung Schmidts durch die ehemalige Wirkungsstätte eines innerparteilichen Antipoden als Provokation, und so ist die Empörung des Abendroth-Schülers Deppe durchaus nachvollziehbar. Auch unter Vertretern der Studentenschaft wird von einem "gezielten Schritt konservativer Kräfte" gesprochen, die mit der "linken Tradition" ausgerechnet dann brechen wollten, wenn der Fachbereich den hundertsten Geburtstag Abendroths begehen werde.

In der Tat steht der Sozialdemokrat Helmut Schmidt nicht gerade für linken Traditionalismus; typisch für ihn ist eher jene Vorstellung eines "demokratischen Sozialismus", dem - so äußerte Schmidt selbst - ähnliche Prinzipien zugrunde lägen wie der Kameradschaft unter Soldaten. Seine Fürsprecher, der Historiker Karl-Dietrich Bracher sowie die Philosophen Jürgen Habermas und Julian Nida-Rümelin, die das Gutachten zugunsten Schmidts verfaßten, lassen sich allerdings ebensowenig wie der Ex-Kanzler selbst "rechts" einordnen.

Ein öffentlich ausgetragener Streit um die Verleihung akademischer Würden ist an der Philipps-Universität kein Novum. 1970 zog Ernst Nolte gegen die Berufung des "Faschismus-Forschers" Reinhard Kühnls zu Felde, dessen Habilitationsschrift über die NPD seiner Meinung nach nicht dem wissenschaftlichen Anspruch der Vorurteilsfreiheit genüge, sondern eine unwissenschaftliche Polemik gegen die Partei darstelle. Schon damals kam die Polarisierung innerhalb der Fakultät zum Ausdruck. Bekanntlich unterlag Nolte, und Kühnl wurde Professor. Eine spätere Würdigung Kühnls für seinen Beitrag daran, daß "Antifaschismus ein Ferment der gesellschaftlichen und politischen Ordnung der Bundesrepublik" bleibe, stammt übrigens von demselben Frank Deppe, der sich nun in einem akademischen Rückzugsgefecht dagegen wehrt, daß "Marburg marxismusfrei" wird.

Foto: Schmidt mit Doktorhut der Universität Haifa: Ausgezeichnet


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