© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/06 07. Juli 2006

Ein Wert unter vielen
Demographie: Warum die Deutschen kaum noch Kinder bekommen / Studie der Robert-Bosch-Stiftung
Tobias Westphal

Was wünschen sich die Deutschen? Kinderlosigkeit oder ein Leben in einer Zwei-Kinder-Familie? Diese und viele weitere Ergebnisse und Lösungsvorschläge für die geringe Geburtenrate liefert in der Studie "Kinderwünsche in Deutschland, Konsequenzen für eine nachhaltige Familienpolitik" das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Zusammenarbeit mit der Robert-Bosch-Stiftung. Dafür wurden im vergangenen Jahr 10.000 Menschen zu ihren Einstellungen zu Kindern, dem Ansehen von Familien und Forderungen an die Familienpolitik befragt. In der Studie wurde festgestellt, daß sich in Deutschland mittlerweile fast jeder vierte Mann und jede siebte Frau grundsätzlich für ein Leben ohne Kinder entscheidet. Im Westen ist der Wunsch nach Kinderlosigkeit noch sehr viel stärker ausgeprägt als in den neuen Bundesländern. Der Wunsch nach Kinderlosigkeit sei eine deutsche Besonderheit. Dazu komme, daß mit einer durchschnittlichen gewünschten Kinderzahl von 1,75 pro Frau der deutsche Kinderwunsch im europäischen Vergleich sehr niedrig sei. Noch darunter liegt jedoch die aktuelle Geburtenziffer. Sie lag in Deutschland im Jahre 2004 bei 1,37 Kindern je Frau und damit weiterhin unter dem europäischen Durchschnitt.

Doch was spricht für oder gegen Kinder bei der Überlegung zur Gründung einer Familie? Zum einen sei es kein besonderer Wert mehr, Vater oder Mutter zu werden. Elternschaft ist zu einem Wert unter vielen anderen geworden. Zunächst einmal sei eine Voraussetzung für eine Familiengründung eine stabile Beziehung zu einem Lebenspartner und ein sicherer Arbeitsplatz mindestens eines potentiellen Elternteils. Gegen Kinder spricht für viele Befragte - vor allem Frauen -, daß sie damit ihren finanziellen Spielraum, Beschäftigungschancen und persönliche Freiheit einschränken. Wer ein Kind erwartet, rechnet eher mit einer Verschlechterung seines Lebens als mit mehr Lebensfreude. Kinder werden nicht mehr als Bereicherung gesehen - Kinder gelten als Belastung. Wohl auch daher genießen Familien wenig Ansehen.

Einfluß der Familienpolitik

Die Studie zeigt, daß die Bevölkerung sich eine Unterstützung durch die Familienpolitik wünscht; vor allem durch finanzielle Hilfen, flexiblere Arbeitszeiten und eine ganztägige beziehungsweise flexible Kinderbetreuung. Dabei sind die Wünsche je nach Lebenssituation verschieden: Große Familien und geringer Qualifizierte wünschen sich vor allem mehr finanzielle Unterstützung, dagegen wollen Kinderlose und Ein-Kind-Familien sowie höher Qualifizierte eher bessere Betreuungsmöglichkeiten. Etwa zwei Drittel aller Eltern wünschen sich, daß der eine Partner Teilzeit und der andere Partner Vollzeit arbeitet.

Inwieweit kann die Familienpolitik überhaupt auf die Entscheidung für oder gegen Kinder einwirken? Bisher war der Einfluß der Politik auf die Geburtenziffer begrenzt. Immerhin meinten die meisten der Befragten, daß eine ihren Bedürfnissen angepaßte Familienpolitik sie bei der Verwirklichung ihrer Kinderwünsche unterstützenwürde. Dabei sind Frauen mit (weiterem) Kinderwunsch gut empfänglich für eine stärkere Unterstützung und können sich vorstellen, gewünschte Kinder früher als geplant zu bekommen. Und auch rund ein Fünftel der Frauen ohne (weiteren) Kinderwunsch ist potentiell für die Familienpolitik noch erreichbar. Diese Frauen zeigen eine gewisse Bereitschaft, sich umstimmen zu lassen.

Die Deutschen halten den Wert von Ehe und Familie generell hoch und die Zwei-Kind-Familie für ideal. Allerdings wirkt sich diese positive Einschätzung nicht unmittelbar auf das Verhalten aus. Durch eine verbesserte Familienpolitik könnte sich aber die Diskrepanz zwischen der Geburtenziffer in Deutschland und der durchschnittlich gewünschten Kinderzahl verringern. Die Studie gibt folgenden Empfehlungen: 1. Die Familienpolitik muß Frauen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen. Notwendig sind dafür der Ausbau von ganztägiger Kinderbetreuung, mehr Krippen- und Hortplätze und die Einführung der Ganztagsschule.

2. Die Unterstützung durch die Familienpolitik muß flexibel sein, daß sie allen Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen gerecht wird. Denn wer schon (mehrere) Kinder hat, wünscht sich eher finanzielle Leistungen durch den Staat. Frauen (bisher) ohne Kinder dagegen wollen gute Betreu- ungsangebote, während mit steigender Kinderzahl das außerhäusliche Betreuungsangebot als weniger wichtig eingestuft wird.

3. Die Familienpolitik muß sich für verbesserte Zeitoptionen am Arbeitsmarkt einsetzen. Denn sie stehen ganz oben auf der familienpolitischen Wunschliste. Dazu gehören etwa auch ganztägige Öffnungszeiten von Krippen, Kindergärten und Horten. Arbeitgeber und Gewerkschaften sollten stärker motiviert werden, familienfreundliche Bedingungen zu schaffen. Zum Beispiel dadurch, die wöchentliche Arbeitszeit flexibel über den Tag oder die Woche zu verteilen, oder durch eine Erhöhung des Angebots von Teilzeitjobs.

Die Studie im Internet unter www.bosch-stiftung.de/demographischer_wandel


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