© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/06 07. Juli 2006

Nahöstliche Betonköpfe
Terror und Gegenterror im Heiligen Land haben eine neue Qualität erreicht
Günther Deschner

Ein von palästinensischen Desperados verschleppter israelischer Rekrut; Panzer und Bomben der Israelis im Gaza-Streifen; "Terror" und "Gegenterror" - im Nahen Osten nichts Neues? Oberflächlich gesehen mag es sich nur um eine neue Masche im ewig gleichen Strickmuster des israelisch-palästinensischen Dramas handeln, des unentwirrbaren Knäuels von gescheiterten Friedensplänen, von Lügen und Illusionen. Verbohrte Fanatiker finden sich in diesem Epos der Ausweglosigkeit überall - und keine Seite ist frei von "Schuld".

Zwar ist der historische Auslöser eindeutig: Mit dem Beginn der Landnahme durch die Zionisten in einer Region, in der zweitausend Jahre vorher jüdische Stämme gesiedelt hatten, begann der Unfrieden. Die dort lebenden muslimischen und christlichen Araber, die "Palästinenser", wollten sich mit der Teilung des Landes, das sie nicht ohne Grund für ihres hielten, nicht abfinden. Auf beiden Seiten gab es seither stets "Realpolitiker" und "Fundamentalisten". Radikale Palästinenser wollten den Judenstaat um jeden Preis wieder beseitigen, maßlose Judenführer konnten oder wollten sich von der Vision eines "Erez Israel" nicht lösen.

Die "normative Kraft des Faktischen" hat ihr rücksichtsloses Urteil gesprochen: Heute gibt es ein größeres Israel und mit ihm verzahnt "Palästinensergebiete". Faktisch sind sie und Israel vielfältig miteinander verbunden - durch die Wirtschaft, die Infrastruktur, die territoriale Verzahnung. Die Betonköpfe beider Seiten hatten bis heute Schwierigkeiten, aus dieser Konstellation etwas zu machen.

Israelische Regierungen haben oft behauptet, bei den Palästinensern sei kein "ernstzunehmender" Verhandlungspartner zu finden. Damit und mit der Berufung auf den Überlebenskampf rechtfertigen sie vor sich selbst und gegenüber den USA und der EU ihr einseitiges Vorgehen: die Siedlungserweiterungen im Westjordanland, die demütigende Demontage Arafats, die beleidigende Nichtbeachtung seines Nachfolgers Mahmud Abbas, die wirtschaftlichen Repressalien, die Ermordung aus eigener Machtvollkommenheit zum Tode bestimmter Politiker, Besatzungsgegner und Unbeteiligter. Allein im Mai sind nach Uno-Angaben durch israelische Angriffe 49 Palästinenser umgekommen. Im selben Zeitraum wurde ein Israeli getötet.

Anfang des Jahres war es zu Wahlen in den Palästinensergebieten gekommen. Die USA hatten sie unbedingt gewollt. Allerdings siegten mit der radikalislamischen Hamas-Bewegung aus der Sicht der USA und Israels die "Falschen". Denn die Hamas hatte sich bis dahin stets geweigert, den Judenstaat anzuerkennen. Vorsichtige Positionsänderungen der Hamas-Regierung gegenüber Israel wurden nicht honoriert: weder die Ablehnung iranischer Hilfe noch die Distanzierung von extremen Hamas-Führern im Ausland und auch nicht die intern geführte Debatte über Möglichkeiten einer Phase friedlicher Koexistenz mit Israel.

Wie einer Betonwand sah sich die Hamas-Regierung den Maximalforderungen Israels gegenüber: bedingungslose und sofortige Anerkennung Israels, offizieller Gewaltverzicht und die vollständige Anerkennung aller mit Israel geschlossenen Verträge. Dem steht als Maximalforderung der Palästinenser gegenüber, daß sich Israel auf die Grenzen von vor 1967 zurückzieht. Dann wäre auch mit der Hamas von heute ein dauerhafter Waffenstillstand zu verhandeln.

Doch Ehud Olmerts Vision, die auch auf Vorstellungen seines Vorgängers Ariel Scharon zurückgeht, ist anders. "Hitkansut" heißt das neue Zauberwort im Hebräischen, was auf deutsch soviel wie "Zusammenführung" oder "Konvergenz" bedeutet. Gemeint ist die Konsolidierung aller heute von Israel beanspruchten Gebiete und ihre Abschließung mit einer gigantischen Betonmauer, einschließlich eines Großteils jener Gebiete, die Israel nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 annektiert und teils intensiv besiedelt hat, die ihm aber völkerrechtlich nicht zustehen. Daß die Palästinenser - gleich wer sie regiert - solchen Bedingungen nicht zustimmen werden, weiß Olmert. Niemals würden sie die Annexion Ost-Jerusalems und der heiligen Stätten und den dauernden Verbleib der israelischen Siedlungen im Westjordanland hinnehmen und einen palästinensischen Flickenteppich-Staat befürworten.

In diesem Kontext stellt die Operation, wie sie Israel in der vergangenen Woche begonnen hat, doch etwas Neues dar. Nach Art und Umfang zielt sie keineswegs bloß auf eine Geiselbefreiung ab. Andere Staaten schicken in solchen Fällen Diplomaten. Israel schickte eine Bomberstaffel, um Brücken, ein E-Werk und Regierungsgebäude zu zerstören. Um einen entführten Rekruten wieder frei zu bekommen, bräuchte man nicht ein halbes Parlament und eine halbe Regierung zu kidnappen. Noch dazu nicht in der Woche, in der die Palästinenser sich zumindest auf die indirekte Akzeptanz Israels verständigt hatten. Das wäre ein Ansatzpunkt für einen politischen Neubeginn. Hat Olmerts Regierung daran kein Interesse mehr? Es hat den Anschein, als würde sie sich lieber hinter eine Betonwand zurückziehen. "Hat unsere Regierung den Verstand verloren?" fragte deswegen am letzten Sonntag der Leitartikler der israelischen Zeitung Haaretz.


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