© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/06 30. Juni 2006

Ein Spiel vom lustvollen Altern
Theater, das Leben heißt
Axel Michael Sallowsky

Rosi, das hat du gut gemacht - Ein Projekt für Damen und Herren ab dreiundsechzig", ist das außergewöhnliche Theater-Experiment von Jacqueline Kornmüller betitelt, mit dem das Hamburger Schauspielhaus sein Publikum überraschte. Es ist kein "echtes" Theaterstück und hat dennoch sehr viel mit Theater zu tun, mit einem aufregenden Theater sogar, das da schlichtweg Leben heißt.

Dieses Theater-Experiment speist sich allein aus den Biographien der 26 Darsteller. Und fertig ist der Beweis, daß Theater nichts anderes ist als aufgeschriebenes Leben, hier mit einfachsten Mitteln in eine sehr wirksame dramaturgische Form gebracht. In erster Linie aber ist dieses "Spiel für Damen und Herren ab dreiundsechzig" ein Plädoyer für das Alter(n), für das Älterwerden in Würde, für Lebensfreude und Optimismus, wenn man "Abschied von der Jugend" genommen hat und sich überflüssig vorkommt in einer herzlosen, einzig auf Jugend bedachte und getrimmte Geistes-und Konsum-Welt. Der "alte Mensch" kann und muß sich zur Wehr setzen gegen diesen zynischen, so menschenunwürdigen Geist, der aus dem Schein und nicht aus dem Sein kommt. Und so lautet die Botschaft dieses Spiels: Das Leben ist lebenswert!

Da stehen also 26 Menschen auf leerer Bühne (acht Herren, achtzehn Damen, die älteste ist 85, die jüngste 63) und erzählen aus ihrem Leben. Ohne (Theater)-Pathos, ungeschminkt, höchst motiviert, von der Regie einfühlsam und an langer Leine geführt hin zur eigenen Persönlichkeit, die sich nach außen öffnet, das eigene Leben durchwandert und dabei das Publikum mitnimmt.

Keiner dieser 26 Akteure ist Schauspieler, jedenfalls kein professioneller. Sie sind alle Laien, Amateure, Selbstdarsteller, uneitel, ehrlich, wahrhaftig, zufällig auf die Bühne gebrachte Schicksale, in denen sich ebenso individuelles Erleben wie auch spannende Zeitgeschichte widerspiegeln. Nichts Gekünsteltes findet sich in ihrer Sprache, in ihren Bewegungen, in ihrem natürlichen Habitus. Sie berichten über traurige, heitere, bittere und schöne Episoden aus ihrem wahren, ganz persönlichen Leben, schauen mal wehmütig, mal resignierend, aber auch dankbar auf ihr Leben zurück, das geprägt und begleitet wurde und noch immer begleitet wird von all jenen Ängsten, Sehnsüchten, schmerzenden Erfahrungen, von großen und kleinen Träumen, von Schicksalsschlägen und Verlusten, die ein Menschenleben nun einmal ausmachen.

Eine Dramaturgie im Lessingschen Sinne gibt es in diesem Spiel nicht. Die Dramaturgie ist das Leben selbst. Und da stellt sich ein faszinierender psychologischer Effekt ein: Das Publikum darf und muß sich zwangsläufig mit den auf der Bühne sich offenbarenden Schicksalen identifizieren, da ein jeder sich in der Geschichte und in der Rolle des Fremden selbst erkennen kann. Es sind die subtil sich einstellenden, wahrnehmbaren Gemeinsamkeiten im Ablauf und in der Vergleichbarkeit von Menschenleben, die da berühren, betroffen machen (nicht oft hört man im Schauspielhaus ein so heftiges Schluchzen).

Ein Höhepunkt im Bühnenspiel: Überraschend (aber nachvollziehbar) bespritzen sich alle Darsteller mit "Blut", als hilfloses Eingeständnis, sich schuldig gemacht zu haben. Sowohl bereits als Kind im Dritten Reich wie auch später. Es gibt kein Leben ohne Schuld. Ein jeder verstrickt sich irgendwann einmal in etwas, das er später (vielleicht) bereuen wird.

Wahrhaftiger vermag Theater nicht zu sein. Minutenlanger Applaus eines begeisterten wie zutiefst betroffenen Publikums, das die Botschaft begriffen hatte, die da lautet: Lebe, liebe, hoffe.

Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39, 20099 Hamburg, Kartentelefon: 040/2 48 71-3


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