© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/06 30. Juni 2006

Weniger Kosten durch mehr Wettbewerb
Verkehrspolitik: Der ÖPNV ist notwendig, um Lärm und Schadstoffemissionen in Grenzen zu halten / Liberalisierung möglich
Ekkehard Schultz

Die schwarz-rote Bundesregierung will bei den Subventionen für den Öffentlichen Personennahverkehr bis 2009 etwa 1,8 Milliarden Euro einsparen. Bislang erhielten die für den ÖPNV zuständigen Bundesländer jährlich 7,2 Milliarden Euro aus Berlin - doch um die Konsolidierung des Bundeshaushalts nicht zu blockieren, stimmten letzte Woche auch die Länder für das entsprechende Haushaltsbegleitgesetz.

Vor dem Hintergrund knapper Kassen wird aber bereits seit Jahren darüber diskutiert, den ÖPNV grundlegend zu reformieren. Doch bislang gelang es erst, in Hessen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt mit Hilfe anderer Finanzierungsformen erste Anreize für mehr Wettbewerb zu setzen.

ÖPNV-Kunden befürchten Angebots-Einschränkungen

Allerdings ist eine solche Entwicklung mit Befürchtungen der Kunden verbunden: Müssen sie weitere Einschränkungen befürchten, wenn Strekken nur noch nach reinen Effizienzkriterien bedient werden? Drohen dann die Preise in bestimmten Regionen förmlich zu explodieren, während sie aufgrund der attraktiveren Bedingungen in den Metropolen gleichbleiben oder fallen könnten?

Zu diesen Fragestellungen hatte das Umweltbundesamt (UBA) beim Deutschen Institut für Urbanistik (DIfU) eine Studie zur Zukunft des ÖPNV in Auftrag gegeben. Nun liegt das Ergebnis in Form eines Buches mit dem Titel "Umweltfreundlicher, attraktiver und leistungsfähiger ÖPNV" vor, welches das DIfU zusammen mit der Nahverkehrsberatung Südwest in Heidelberg und dem Lehrstuhl für Verkehrsökologie der TU Dresden erstellt hat.

Grundsätzlich gehen die Autoren der Studie davon aus, daß die Erwartung unrealistisch ist, daß sich der ÖPNV eines Tages vollkommen ohne öffentliche Zuschüsse betreiben ließe. Dieses Ziel sei bestenfalls in einigen Musterregionen erreichbar. Doch diesen Kosten stehe ein grundsätzlicher gesellschaftlicher Nutzen gegenüber, der sich nicht allein auf die klassischen Umweltaspekte (Reduzierung des Gesamtverkehrs und des Flächenbedarfs von Städten und Gemeinden) beschränkt. Der ÖPNV biete weit leichter als der motorisierte Individualverkehr die Möglichkeit, Lärm und Schadstoffemissionen durch neue Fahrzeugtechnik unmittelbar an der Quelle zu vermeiden oder zu reduzieren. Durch die Reduzierung des Gesamtverkehrs nütze der ÖPNV zudem dem notwendigen Autoverkehr. Ferner erfülle der ÖPNV eine wichtige Aufgabe der Daseinsversorgung für die acht Millionen Haushalte in Deutschland ohne eigenes Fahrzeug.

Dennoch sind sich die Autoren einig, daß eine Reduzierung der Kosten durch mehr Wettbewerb dringend notwendig sei. Bislang blockiere jedoch insbesondere die unklare juristische Sachlage eine Stärkung von Liberalisierungstendenzen, um die sich vor allem die EU bemühe. So sieht die EU-Verordnung VO 1191/69 (EU-Beihilferecht) vor, daß zwischen einem gemeinwirtschaftlichen Leistungsauftrag - als Grundlage des ÖPNV weiterhin unverzichtbar - und der konkreten Leistungserbringung zu unterscheiden sei. Dies würde eine "Betrauung" des nach einer Ausschreibung effizientesten Privatunternehmens durch die den Auftrag erteilende Kommune erfordern. Dagegen werde jedoch in Deutschland bis heute größtenteils die Auffassung vertreten, daß das EU-Beihilferecht im ÖPNV nicht gelte und daher der Aufgabenträger ein beliebiges Unternehmen seiner Wahl bezuschussen könne. Die Konsequenz daraus ist freilich, daß letztlich der Aufgabenträger entscheidet, ob für ihn die Vorteile aus dem Verzicht auf Ausschreibungen oder die Vorteile des Ausschreibungsverfahrens überwiegen.

Bislang wenig Wettbewerb durch Ausschreibungen

So existiert in den meisten Sparten des ÖPNV (Busse, S-, U- und Straßenbahnen) bis heute in Deutschland kein freier Marktzugang. Durch die Pflicht zur Konzession gibt es keinen Wettbewerb im Markt, sondern lediglich um den Markt. Auch im stärker liberalisierten Schienenpersonennahverkehr (SPNV) sind die Erfolge seit der Bahnreform von 1994, nach der es allen Unternehmen freisteht, sich am Wettbewerb zu beteiligen, spärlich geblieben. Nach wie vor dominiert die Deutsche Bahn (DB). Nur 17 Prozent der aktuellen Zugkilometerleistungen wurden im Wettbewerb durch Ausschreibungen und Preisanfragen vergeben.

Nach Meinung der Autoren liegt das Grundproblem der heutigen, oft starr und wenig flexibel wirkenden Nahverkehrsstrukturen darin, daß die Kommunen als Aufgabenträger bislang oft zu wenig in das komplexe Geflecht der Angebotsbestellung sowie in die Orientierung nach Kundenbedürfnissen eingebunden seien. Der Vorteil ihrer bisherigen Rolle als Mobilitätsdienstleister lag darin, daß ihnen die direkte Umsetzung verkehrs- und umweltpolitischer Ziele sowie die Abstimmung des ÖPNV mit der gesamten Verkehrs- und Siedlungsentwicklung leicht möglich war. Andererseits zeichneten sich die entsprechenden Unternehmen durch eine Kunden- sowie Marktferne aus.

Wenn sich jedoch nun der Aufgabenträger - um den Wettbewerb zu ermöglichen - statt als direkter Dienstleister als Koordinator bzw. Vermittler verstehe, müsse er sich eine unternehmerische Denkweise aneignen, ohne selbst Unternehmer zu sein. Er müsse daher konkrete Leistungs- und Zielvorgaben formulieren, etwa gewünschte Takte, Fahrtenzahlen, Reisezeiten, Umsteigemöglichkeiten und Anschlußsicherungen sowie Mindeststandards festlegen.

Gleichzeitig sei es notwendig, das Hauptaugenmerk von der Finanzierung des entstehenden Aufwandes auf die Gewinnung neuer Fahrgäste zu lenken. Aber selbst dann, wenn eine Kommune dies leisten könne und nach Wettbewerbsgesichtspunkten Privatunternehmen mit den Nahverkehrsaufgaben "betraue", sei kurzfristig kaum mit größeren Veränderungen der heutigen Situation zu rechnen, so die Autoren. Denn die Kommunen sind auf kompetente Unternehmen dringend angewiesen - was den bisherigen Alt-Unternehmen große Vorteile verschafft.

Die Studie "Umweltfreundlicher, attraktiver und leistungsfähiger ÖPNV - ein Handbuch" kann man für 32 Euro beim Deutschen Institut für Urbanistik bestellen (Telefon: 030 / 3 90 01-253 Internet: www.difu.de/publikationen/)


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