© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/06 30. Juni 2006

Ohrfeige für den reichen Norden
Italien: Verfassungsreform per Referendum abgelehnt / Regionalisierung gescheitert / Unmut in Lombardei und Venetien
Paola Bernardi

Vergangenen Sonntag und Montag zeigten die Thermometer 40 Grad, und die 47,3 Millionen wahlberechtigten Italiener waren aufgerufen, erneut ihre Stimme abzugeben. Nach Parlaments- und Kommunalwahlen sollten sie in einem Volksentscheid über die umfangreichste Verfassungsänderung seit Abschaffung der Monarchie 1946 abstimmen: 53 der 139 Artikel standen zur Disposition.

Und das Ergebnis war eindeutig: 61,6 Prozent lehnten die "Devolution" genannte Reform ab, nur 38,4 Prozent stimmten mit "Ja" - bei einer für ein Referendum überraschend hohen Wahlbeteiligung von landesweit 53,6 Prozent. Doch was auf den ersten Blick wie ein erneuter Erfolg für die Mitte-Links-Koalition von Romano Prodi aussieht, ist in erster Linie eine Ohrfeige für den reichen Norden Italiens.

Denn die Regionen Lombardei (Lombardia) und Venetien (Veneto), wo über ein Viertel der Italiener lebt, stimmten mehrheitlich mit "Ja". In Norditalien war die Wahlbeteiligung mit 60,3 Prozent auch deutlich höher als im Süden mit 42,6 Prozent. Die Devolution war zudem vor allem ein Projekt der rechten Bürgerbewegung Lega Nord (bis 2006 Koalitionspartner von Silvio Berlusconi), das den Regionen mehr Eigenständigkeit, aber auch mehr Selbstverantwortung bringen sollte.

"Italien will sich nicht modernisieren. Heute haben diejenigen gewonnen, die auf Kosten des Nordens leben wollen", erklärte resigniert der EU-Parlamentarier Francesco Speroni von der Lega Nord. Andere Reformen, wie eine Verkleinerung von Abgeordnetenkammer und Senat oder mehr Macht für den Ministerpräsidenten, polarisierten hingegen weniger.

Die Ablehnung der Devolution kam daher auch nicht nur durch linke Stimmen: Die Christdemokraten (UDC) und die postaschistische Alleanza Nazionale (AN) trugen das Projekt von Lega Nord und großen Teilen von Berlusconis Forza Italia (FI) nur aus Koalitionsdisziplin widerwillig mit. Weil das neue Verfassungsgesetz im November 2005 nicht mit Zweidrittelmehrheit zustande kam, fand jetzt die Volksbefragung statt.

Die gescheiterte Reform hätte die Zuständigkeiten der 15 Regionen ohne Sonderstatut wesentlich gestärkt. Sie sollten die ausschließliche Zuständigkeit in den Bereichen lokale öffentliche Sicherheit, Gesundheits- und Schulwesen erhalten. Zur Finanzierung hätten sie die auf regionaler Ebene eingenommenen Steuern selbst verwalten können. Das bisher strikt zentralistische Steuersystem wäre somit zugunsten der Regionen geschwächt worden. Rom sollte wegen seiner Rolle als Hauptstadt eine Sonderautonomie erhalten und über mehr Geld verfügen.

Die Lega Nord, die sich seit ihrer Gründung 1991 als Gegengewicht zur zentralen Regierungsverwaltung in Rom sieht ist mit ihrer Rebellion des reichen "Padaniens" (Norditaliens) gegen "die 'Diebe' von Rom", wie es Lega-Chef Umberto Bossi immer wieder drastisch formulierte, vorerst gescheitert. Und weil der versprochene Föderalismus weiter auf sich warten läßt, erwacht nun die Lust an der Sezession wieder. "Unter Österreich ging es uns besser als unter Rom", erklärte Bossi schon vor der Abstimmung. Man werde "neue Wege suchen müssen, weil es anders nicht möglich sein wird, in Italien etwas zu ändern. Das ist das Drama", so der Lega-Chef. Man werde dennoch nicht aufgeben. "Auch Schotten und Katalanen haben es öfter versuchen müssen. Wir werden es auch weiter versuchen", so Bossi letzten Dienstag.

Warnung vor Zerbrechen der nationalen Einheit des Landes

Die geplante Machterweiterung für den Regierungschef hat hingegen vor allem die Politiker der zahlreichen Mitte-Links-Parteien auf die Barrikaden getrieben. Denn der Führer des siegreichen Wahlbündnisses bei den Parlamentswahlen wäre damit automatisch Ministerpräsident geworden. Die bisher nötige Vertrauensfrage im Parlament wäre entfallen - und somit die Möglichkeit, einen "Denkzettel" zu verpassen. Der neue Premier hätte Minister entlassen wie auch nominieren können, ohne wie bisher das Plazet des Staatspräsidenten einzuholen.

Außerdem hätte der Ministerpräsident dem Staatsoberhaupt eine Parlamentsauflösung und Neuwahlen vorschlagen können. Damit wäre der Präsident seiner wichtigsten Rechte beraubt gewesen. Auch eine Strukturreform des Parlaments wird es nun nicht geben. Es war geplant, die Zahl der Deputierten von 630 auf nur noch 518 abzusenken, wobei 18 von Auslandsitalienern hätten bestimmt werden müssen; der Senat wäre künftig nur noch 252 Mitglieder stark gewesen und hätte sich vor allem regionaler Fragen annehmen müssen.

Während der neue Staatspräsident Giorgio Napolitano - ein Postkommunist - die Italiener vor der Abstimmung mahnte, "nicht alles zu zerstören, was die vorhergegangene Regierung verabschiedet hat", setzte der neue Regierungschef Prodi voll auf Konfrontation. Mit schrillen Tönen trommelte er zur Mobilmachung. In einem offenen Brief beschwor er die Italiener, mit "Nein" zu stimmen. "Wir müssen eine Verfassungsreform ablehnen, die uns die Mitte-Rechts-Allianz aufzwingen will." In seiner dramatischen Schwarz-malerei sah Prodi schon die nationale Einheit des Landes zerbrechen und die Gleichberechtigung aller Bürger ernsthaft durch die Stärkung der Regionen in Frage gestellt.

Vor allem bot dieses Referendum dem neuen Premier jedoch eine erste günstige Gelegenheit, die immer wieder vielbeschworene Solidarität seiner vielköpfigen Regierungsmannschaft zu beweisen, deren politische Spannweite von Altkommunisten bis hin zu Ex-Christdemokraten reicht. Prodis derzeitiges Kabinett ist mit 102 Mitgliedern die byzantinischste aller bisherigen italienischen Regierungen. Sie stellt selbst die bislang größte Regierungsmannschaft des Christdemokraten Giu-lio Andreotti in den Schatten.

Die Befürworter der Reform wie Oppositionsführer Berlusconi sprachen hingegen von der Notwendigkeit einer "Modernisierung" des Staates und einer Verschlankung der Zentralverwaltung. "Der Moloch Rom würde endlich ausgemistet", erklärte zynisch ein Abgeordneter aus dem Norden. Und selbst Berlusconi-skeptische Beobachter wie der Corriere della Sera-Kommentator Sergio Romano meinten: "Besser eine schlechte Reform als keine Reform." Er befürchtete nicht das von den Linken propagierte Ende des Einheitsstaates, sondern den Sieg des institutionellen Immobilismus.

Vor dem Referendum erschütterten übrigens weitere politische Wellen Italien: Erst war es der Bankenskandal, dann der Fußball-Eklat und zuletzt die Verhaftung des letzten Savoyer-Thronfolgers, Vittorio Emanuele, der in einem gigantischen Verdacht der Korruption und Zuhälterei steht. Die zum Teil privaten Abhörprotokolle der Justiz landen täglich stoßweise bei den Redaktionen, die nun Tag für Tag ihren Lesern alle Pikanterien und Vertraulichkeiten seitenlang präsentieren.

Der Präsident des Industriellenverbandes Luca Cordero di Montezemolo - der 2001 das Angebot Berlusconis ablehnte, in die Regierung einzutreten - macht sich angesichts der Lage Sorgen um Italien: "Wir hoffen, daß es für längere Zeit der letzte Wahlgang war. Nun sind mutige und auch unpopuläre Entscheidungen vonnöten."


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