© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/06 23. Juni 2006

Rache für jüdisches Blut
Die Behauptung, Israels Ex-Premier Menachem Begin sei an einem Attentat in Deutschland beteiligt gewesen, sorgt für Furore
Stefan Scheil

Von Palästinenserführer Abu Dschihad ist die nicht ganz ernst gemeinte Argumentation überliefert, er könne 1972 nicht am Attentat auf die israelischen Sportler bei den Olympischen Spiele in München mitgewirkt haben, denn er lebe schließlich noch. Dabei habe der israelische Geheimdienst doch jeden getötet, der dafür mitverantwortlich gewesen sei.

Die Operation der israelischen Dienste unter der Bezeichnung "Zorn Gottes", auf die Abu Dschihad anspielte, gehört zu den bekannteren ihrer Art, spätestens seit Steven Spielberg sie im vergangenen Jahr als Hintergrundstoff für eine Verfilmung in Anspruch nahm. Spielberg drehte keinen Dokumentarfilm mit Wahrheitsanspruch, denn wie alle derartigen Operationen fand diese in einem Zwielicht statt, das zu fiktiven Deutungen geradezu einlädt. Er zeigte in gewohnt konstruierter Manier vorwiegend das Innenleben der rächenden Agenten, ihre Skrupel und die Konflikte innerhalb der Gruppe darüber, ob das warnungslose Töten von wirklichen oder vermeintlichen Attentätern ohne gerichtliches Urteil moralisch zu rechtfertigen sei.

Nach 1945 wurden jüdische Rächer in Europa aktiv

Wie man weiß, wird diese Frage von israelischen Regierungsmitgliedern der maßgebenden Parteien in vielen Fällen mit einem klaren Ja beantwortet. Meldungen über getötete Funktionäre palästinensischer Organisationen erreichen den deutschen Nachrichtenzuschauer daher immer wieder. In Stoßzeiten war es eine fast alltägliche Erscheinung, Berichte über "gezielte Tötungen" zu sehen, die vorwiegend von Hubschraubern aus und mittels Raketen ausgeführt wurden. Weniger bekannt als diese Racheaktionen innerhalb des palästinensisch-israelischen Dauerkriegs sind dagegen lang vergangene Nachwirkungen der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Nach 1945 wurden ebenfalls jüdische Rächer aktiv, wenn auch nicht im Regierungsauftrag, sondern auf eigene Faust.

Unter dem Namen "Nakam", einer Abkürzung für "Dam Yehudi Nakam" - Rache für jüdisches Blut - operierte eine Gruppe in Europa, die sich den Tod ehemaliger Nationalsozialisten und SS-Offiziere zum Ziel gesetzt hatte. Über den Erfolg der Aktion und das mögliche Ausmaß der Gesamtziele breitet sich trotz oder wegen journalistischer Rechercheversuchen das übliche Dunkel aus. Gesamtschätzungen sprechen von mehr als einhundert Toten. Beteiligte raunten in der späten Erinnerung von der Absicht, Trinkwasser in Deutschland zu vergiften. Davon habe man Abstand genommen, aber immerhin die Brotlieferung an das Kriegsgefangenenlager Nürnberg-Langwasser mit Arsen vergiftet. Als Beleg dafür dient eine Meldung in der New York Times von April 1946.

Tatsächlich ist es keineswegs ausgeschlossen, daß manch verschollene oder unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommene Nationalsozialisten jüdischen Racheaktionen zum Opfer gefallen sein könnten. Ausdrücklich in Anspruch genommen wurde das etwa für Odilo Globocnik, den früheren Chef der als "Aktion Reinhardt" bezeichneten Ermordung der polnischen Juden, der nach der üblichen Darstellung im Mai 1945 Selbstmord beging. Aus Rachemotiven wurden nachweislich mehrere Personen getötet, die indirekt mit den Ereignissen in Verbindung gekommen waren, wie Rudolf Kasztner, Adolf Eichmanns Verhandlungspartner um das Schicksal ungarischer Juden. Am Tod Kasztners in seiner Wohnung in Tel Aviv soll ein ehemaliger Mitarbeiter des israelischen Sicherheitsdienstes beteiligt gewesen sein, der ebenso wie die anderen Täter nach drei Jahren Haft durch David Ben Gurion begnadigt wurde.

Furore machte jüngst die Erkenntnis, mit Menachem Begin sei ein späterer israelischer Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger an einem Attentat in Deutschland beteiligt gewesen, das zumindest im indirekten Zusammenhang mit dem Judenmord stand: dem Paketbombenattentat auf Konrad Adenauer.

Unbekannte hatten im März 1952 versucht, dem Kanzler per Post eine Bombe zustellen zu lassen. Das Paket wurde der Polizei übergeben, explodierte während der Inspektion im Keller des Münchner Polizeipräsidiums und kostete dem Sprengmeister Karl Reichert, einem 46jährigen Familienvater dreier Kinder, das Leben. Jetzt behauptet einer der Attentäter, der ehemalige Mossad-Agent Elieser Sudit, Auftraggeber der Aktion sei der damalige Oppositionspolitiker Menachem Begin gewesen.

Paketbombe an Bundeskanzler Adenauer

Die Absender dürften kaum einfältig genug gewesen sein, um zu glauben, Adenauer öffne seine Pakete selbst. Ein versuchtes "Attentat auf Adenauer" hat es insofern sehr wahrscheinlich nicht gegeben, wohl aber ein Signal, ein solches Attentat wäre im Bereich des Möglichen. Das wirkliche Ziel der Bombe waren eher die gerade beginnenden deutsch-israelischen Beziehungen und die Bestrebungen der damaligen israelischen Regierung, sich deutsche Finanzkraft zum Aufbau des israelischen Staates nutzbar zu machen. Begin stand dieser Art "Blutgeld" wie viele andere ablehnend gegenüber; alle Deutschen seien Mörder. Insofern hatte das Attentat auf einen Unbeteiligten wie Adenauer auch einen symbolischen Zweck, da es das ganze deutsche Volk in Gestalt des Regierungschefs in Haftung nahm und mit Rache bedrohte. In einem Interview mit Spiegel online erklärte Sudit, Begin "wollte Krach machen. Er wollte der Welt unsere Wut über die Wiedergutmachungsverhandlungen demonstrieren. Und er wollte zeigen, daß wir es ernst meinen."

Abu Dschihad ist in der Tat nicht als einer der Drahtzieher von München bekannt geworden. Genützt hat ihm dieser Umstand langfristig nichts. Im Juli 1988 drang ein israelisches Kommando in sein Haus in Tunis ein und tötete den damaligen militärischen Führer der PLO. Ein Rachebedürfnis kann sich viele Gründe suchen.

Foto: Führer der Irgun-Untergrundbewegung: Der spätere israelische Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Menachem Begin


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