© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/06 23. Juni 2006

Poker um den Welthandel
Landwirtschaft: In der kommenden WTO-Runde könnten die USA die EU ein weiteres Mal übervorteilen
Harald Ströhlein

Es ist nicht an der Zeit, daß Europa ein neues Angebot vorlegt", erklärte Ende Mai der amtierende EU-Ratsvorsitzende und österreichische Agrarminister Josef Pröll bei einem Treffen der EU-Ressortchefs in Krems. "Der Ball liegt bei den USA", so der ÖVP-Politiker. Bislang habe es in der Welthandelsrunde immer nur dann Erfolge gegeben, wenn sich die EU bewegt habe. "Das kann nicht so weitergehen." Ein Erfolg sei möglich, aber "nicht immer allein auf Kosten der EU". Auch die EU-Kommission verlangt, daß die USA von ihrer bislang egozentrischen Haltung abweichen.

Doch es scheint so, als ob Europa die Beschlüsse der Welthandelsorganisation (WTO) erneut teuer erkaufen muß. Während angesichts nahezu stockender Verhandlungen EU-Handelskommissar Peter Mandelson sich mit einer der Zeit vorauseilenden Demutsofferte gegenüber den USA anbiedert, die Zahl der "sensiblen", also mit Außenschutz zu versehenen, Produkte und die EU-Importzölle weiter zu verringern, pokert Washington in bewährter Manier.

Streit um 80 Milliarden US-Dollar Handelsvolumen

Das zähe Ringen zwischen den beiden mächtigen Wirtschaftsriesen verwundert nicht, denn schließlich geht es einerseits bei den transatlantischen Handelsbeziehungen um den bedeutendsten bilateralen Warenaustausch auf der Erde. Andererseits ist der Welthandel per se das Objekt der Begierde, dessen Volumen von mehreren Billionen US-Dollar jenseits unserer Vorstellungskraft liegen dürfte. Von den indirekten US-Subventionen an Boeing (respektive der EU an Airbus) oder den Schutzzöllen der USA auf Stahlimporte einmal abgesehen, bieten alleine die Querelen im Agrarsektor genügend Stoff für eine nahezu unendliche Konfliktgeschichte.

Denn erst seit 1993, als mit dem Beginn der "Uruguay-Runde" die Integration des Agrarbereichs in die Regeln des Gatt (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) beschlossen wurde, wird bei den WTO-Verhandlungen um den globalen Fluß landwirtschaftlicher Güter gestritten. Zuvorderst sind dies die USA und die EU als die zwei größten Agrarexportmächte mit jährlich jeweils knapp 80 Milliarden US-Dollar Handelsvolumen.

Wenn nun die USA beispielsweise gegen die EU-Zollverwaltung schießen, um ein Molkenproteinisolat in die EU einzuführen, oder im Streit um den EU-Außenschutz die landwirtschaftlichen EU-Produkte ins Visier nehmen, um die Strafzölle auf bis zu 75 Prozent zu erhöhen, oder einfach Fleischimporte aus Frankreich wegen angeblich mangelnder Hygiene stoppen, ist das nur die eine Seite der Medaille.

Mit gleichfalls harten Bandagen kämpft die EU um kommerzielle Meriten, wenn sie Importzölle wegen den Antidumping-Praktiken der USA nach oben schraubt oder Strafzölle auf US-Agrarerzeugnisse wie etwa Frischkäse wegen steuerlicher Vergünstigungen von US-Exportunternehmen erhebt. Im Grunde genommen handelt es sich dabei aber lediglich um Scharmützel, zu denen man auch die im US-Agrargesetz erlaubte Verwendung von geographischen Ursprungsbezeichnungen aus der EU für amerikanische Produkte zählen könnte oder die im Rahmen des 2002 beschlossenen Bioterrorismus-Gesetzes erheblich verschärften administrativen Verpflichtungen, vor denen manch europäisches Unternehmen kapitulieren mußte.

US-Agraretat als Faustpfand in den Verhandlungen

Bei einer solchen Aufzählung dürfen natürlich jene Streitereien nicht unerwähnt bleiben, die in anderen Dimensionen angesiedelt sind. Erinnert sei an den Hormonstreit, bei dem die EU ein Einfuhrverbot für hormonbehandeltes Rindfleisch aus Nordamerika verhängte. Die Amerikaner dürfen deswegen seit dem WTO-Schiedsgerichtsspruch im Jahre 1999 jährlich Strafzölle auf EU-Produkte in Höhe von fast 130 Millionen US-Dollar erheben.

In diese Kategorie dürfte auch der Konflikt um das von der EU verhängte Einfuhrverbot für genveränderte Agrarprodukte und Nahrungsmittel fallen, hinter dem die USA protektionistische Maßnahmen vermuten, weswegen sie hinter dem Rücken der WTO zu Felde ziehen. Mit einem Blick auf die jüngst im Streitschlichtungspanel verlautbarten Sichtweisen über das innerhalb der EU zu regelnde Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Produkte ist man versucht zu glauben, daß Brüssel sein bestehendes Einfuhrverbot nicht mehr lange aufrechtzuhalten in der Lage sein wird.

Die aktuelle Haltung der USA bei den WTO-Gesprächen hat ihren guten Grund. Im nächsten Jahr nämlich wird das staatliche Landwirtschaftsförderprogramm ("Farm Bill") mit einem Agrarjahresetat von rund 95 Milliarden Dollar auslaufen. Dagegen stemmen sich die US-Agrarpolitik wie auch die beiden Standesvertretungen der US-Bauernschaft mit aller Macht. Ihrer Meinung nach sollten die für die Landwirte eingesetzten Gelder zumindest bis zum Abschluß der zur Zeit offenen Doha-Runde unverändert weiterfließen.

Dazu muß man wissen, daß das seit 2002 aufgeblähte US-Agrarsubventionspaket mit jährlich fast 20 Milliarden Dollar für produktionsgebundene Direktzahlungen an die Landwirte von den USA bislang als hilfreiches Faustpfand bei den WTO-Verhandlungen taugte.

Daß gerade in jener Zeit der damalige US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick von der EU vehement eine "durchgreifende" Agrarreform forderte, die diese dann prompt mit der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) großzügig umsetzte - nicht zuletzt auch als Vorleistung auf die damals anstehenden WTO-Verhandlungen -, kann kein Zufall sein. Vielmehr zeigte sich einmal mehr, wie sie pokern können, die Amerikaner.

Der Durchbruch in den zähen WTO-Verhandlungen (JF 51/05) ist nun für Ende Juni angepeilt - die US-Siegeschancen stehen nicht schlecht.


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