© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/06 23. Juni 2006

Am Rande der Wahrnehmung
17. Juni: Gedenkveranstaltungen in Berlin / Absage an "Verklärungstendenzen" / Weiter Streit um Gedenktafeln am Finanzministerium
Ekkehard Schultz

Angesichts hochsommerlicher Temperaturen und der anhaltenden WM-Begeisterung in Deutschland spielte der ehemalige Tag der Deutschen Einheit, der 17. Juni, in der öffentlichen Wahrnehmung noch weniger als in den vergangenen Jahren eine Rolle. Dennoch wurde vor allem in Berlin vielerorts mit Veranstaltungen an die Niederschlagung des Volksaufstandes in der DDR 1953 erinnert. Vertreter von Opferverbände legten dort an mehreren Gedenkstätten Kränze für die Opfer des Volksaufstandes nieder.

Die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft 13. August, Alexandra Hildebrandt, forderte in einer Gedenkveranstaltung am 16. Juni vor dem ehemaligen Haus der Ministerien in Berlin, den 17. Juni 1953 im Bewußtsein der Bevölkerung stärker als bisher zu verankern. Dazu müsse auch das Ereignis "im öffentlichen Raum sichtbarer" werden.

Zu diesem Zweck hat die Arbeitsgemeinschaft bereits am 24. Januar 2006 einen neuen Antrag gestellt, die am ehemaligen Haus der Ministerien und heutigem Finanzministerium 2003 angebrachten Fototafeln erneut aufhängen zu können. Die Tafeln waren am 20. Juni 2005 im Auftrag des damaligen Ministers Hans Eichel zwangsweise entfernt worden. Bis heute wurde die Anfrage vom Bundesfinanzministerium jedoch noch nicht beantwortet.

Am 15. Juni lud die Berliner CDU zur Vorführung des Kinofilmes "Das Leben der anderen" ein. Der Generalsekretär der Berliner CDU, Frank Henkel, forderte, den Opfern der SED-Diktatur "mehr Gerechtigkeit widerfahren" zu lassen und den immer stärker zunehmenden Verklärungstendenzen zu wehren. Der Spitzenkandidat der Union für die Abgeordnetenhauswahl am 17. September, Friedbert Pflüger, bekundete in seiner Ansprache am gleichen Ort, daß die DDR historisch "zu Recht als totalitärer Staat" zu bezeichnen sei.

Absage an Antifaklauseln

Schon aus dieser Tatsache ergebe sich die Verpflichtung, den Grundkonsens aller Demokraten - "eine klare Abgrenzung zu jeder Diktatur, ob links oder rechts" vorzunehmen - unbedingt auch in der Zukunft vorzunehmen. Zudem forderte er, "endlich den Weg für eine Opferpension" freizumachen, deren Einführung als Absichtserklärung im CDU-/SPD-Koalitionsvertrag verankert worden sei. Pflüger verwahrte sich ferner gegen die Bestrebungen der Linkspartei, Antifaschismusklauseln in den Landesverfassungen und im Grundgesetz zu verankern, da diese auch antidemokratischen Kräften eine demokratische Legitimation verschaffen könnten. Ebenso "unerträglich" sei das Verhalten des Berliner Kultursenators , Thomas Flierl (Linkspartei) im Rahmen einer Veranstaltung in Lichtenberg, bei der ehemalige MfS-Offiziere SED-Opfer verhöhnten, ohne daß Flierl dagegen einschritt.

Kritik an der PDS wegen dieses Verhaltens brachte auch die Bundestagsfraktion der FDP in einem Offenen Brief zum Ausdruck, der am 16. Dezember im ehemaligen SED-Zentralorgan Neues Deutschland abgedruckt wurde. Die Liberalen fordern darin die Linkspartei auf, ihre Haltung gegenüber dem Volksaufstand "zu überdenken" und die Opfer der Diktatur zu ehren. In einer Offenen Antwort auf den Brief der Liberalen antwortete die Bundestagsfraktion der Linkspartei ebenfalls im Neuen Deutschland, daß sich die Partei bereits im Dezember 1989 "zur Verantwortung der SED für das in der DDR begangene Unrecht bekannt und dessen Opfer um Entschuldigung gebeten" habe.

Allerdings sei diese Entschuldigung vor dem Hintergrund der Auffassung der PDS erfolgt, "daß der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte" sei und sich die Partei auch weiterhin zu den Idealen eines "demokratischen Sozialismus" bekenne, den es "weder vor 1953 noch nach dem 17. Juni in der DDR" gegeben habe.

Zur Frage einer besseren materiellen Entschädigung für die Opfer der Diktatur bekundet die PDS in ihrer Antwort, sie hätte für eine solche Regelung gestimmt, wenn ihr ein derartiger Entwurf von der CDU/FDP-Regierung zwischen 1990 und 1998 vorgelegt worden wäre.

Brandenburgs CDU fordert Gedenktag

Bei der offiziellen Gedenkstunde der Bundesregierung und des Landes Berlin am 17. Juni legten Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee und der Regierende Bürgermeister der Hauptstadt, Klaus Wowereit (beide SPD), auf dem Friedhof Seestraße Kränze und 1.000 rote Rosen nieder. In seiner Ansprache betonte Tiefensee, "jeglicher Form von Geschichtsklitterung, die insbesondere frühere Stasi-Offiziere gerade versuchen", entschlossen entgegenzutreten. Ferner versprach der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister, sich für eine "schnelle Entscheidung" in der Frage einer angemessenen Entschädigung für die Opfer der kommunistischen Herrschaft in Deutschland einsetzen zu wollen.

Die Brandenburger CDU forderte in einem aktuellen Papier, ab kommenden Jahr den 17. Juni zu einem landesweiten Gedenktag zu erklären. An diesem Tag sollen alle Bildungseinrichtungen des Landes das Gedenken an die Opfer der Diktatur in würdiger Form gestalten. Generell sei eine bessere Vermittlung von Wissen über die SED-Diktatur in allen brandenburgischen Schulen notwendig.

Foto: Vertreter der Vereinigung der Opfer des Stalinismus legen am Berliner Steinplatz einen Kranz nieder: "Totalitärer Staat"


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