© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/06 23. Juni 2006

Mißachteter Bürgerwille
Die gescheiterte EU-Verfassung gehört auf die Müllhalde der Geschichte
Andreas Mölzer

Es gebe einen Konsens, daß "die Substanz des Verfassungsvertrages gut ist und am Leben erhalten werden muß", verkündete der amtierende EU-Ratsvorsitzende, Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP), vollmundig beim letzten Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Die Verfassung ist denn auch jenes Thema, für das die EU-Polit-Nomenklatura - trotz der vielfältigen und tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Kontinents - ihre Energien zu verschwenden scheint. Und weil im Staat von Brüssel der Wille der Eurokratie zu geschehen hat, wird schon längst nach Möglichkeiten gesucht, wie das zentralistische Regelwerk, das von den Franzosen und Niederländern vor gut einem Jahr mit klarer Mehrheit abgelehnt wurde, doch in Kraft treten könnte.

Wie zu erwarten war, wurde die vor einem Jahr ausgerufene "Reflexionsphase" dazu genutzt, einen Plan zur Einführung der EU-Verfassung quasi durch die Hintertüre auszuhecken. Bis 2008 sollen nun die "notwendigen Schritte" zur Reform des Regelwerks ausgearbeitet werden, wurde beim Gipfel verlautbart. Bei dieser Ankündigung handelt es sich aber keineswegs um das Versprechen, den bisherigen Weg der Erfolglosigkeit zu verlassen, sondern um eine Beruhigungspille für die zu Recht verärgerten Bürger. Denn warum sollte die EU-Verfassung eigentlich reformiert werden, also grundlegend erneuert werden, wenn ihre Substanz doch in Ordnung sei?

Eine Schlüsselrolle bei der Auferwekkung des Verfassungsvertrages von den Toten soll Deutschland zukommen. Denn in Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) haben die Brüsseler Zentralisten eine willfährige Gehilfin. So betonte sie bei ihrer europapolitischen Grundsatzrede im Bundestag, sie stehe zur EU-Verfassung, ebenso die Bundesregierung und sogar auch die Mehrheit des Parlaments. Ob aber auch der Bürger, der Souveränität, mit der Übertragung der noch verbliebenen nationalen Restzuständigkeiten an Brüssel einverstanden ist, sagte Merkel allerdings nicht.

Am 25. März 2007, auf den Tag genau ein halbes Jahrhundert nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge, welche die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft begründet hatten, soll bei einem Sondergipfel in Berlin vom EU-Polit- Establishment eine "politische Erklärung" angenommen werden. Wer sich davon ein Bekenntnis zu einem föderalistischen Europa, zu einem Bund freier und selbstbestimmter Staaten erwartet, der wird gehörig enttäuscht werden. Denn diese "politische Erklärung" soll, wie bekannt ist, in blumigen Worten die "europäischen Werte und Ziele" darlegen. Über die geistigen und kulturellen Grundlagen Europas, also jene des christlichen Abendlandes, und damit dessen Grenzen wird sich dieses Selbstbejubelungsdokument allerdings ausschweigen. Denn schließlich will Brüssel weder die Türkei-Lobby noch das islamische Anatolien verärgern. Nach dem nun offen zur Schau gestellten Reformwillen wird die EU im Juni des kommenden Jahres in Sachen Verfassung die Maske fallen lassen. Denn zuvor finden in Frankreich und in den Niederlanden, also in jenen Ländern, die den Verfassungsentwurf verworfen hatten, Parlamentswahlen statt, so daß die EU-skeptische Stimmung nicht noch weiter angeheizt werden soll.

Vorbereitungen laufen auch schon für den Ratifizierungsprozeß der dann mit kosmetischen Korrekturen veränderten Verfassung. Diese soll dem Vernehmen nach den Bürgern unter neuem Namen, als europäischer Grundlagenvertrag beispielsweise, verkauft werden. Und um in Zukunft zu verhindern, daß die Bürger eines oder mehrerer EU-Mitgliedstaaten sich bei einer Volksabstimmung nochmals gegen diesen von den Eurokraten verordnete zentralistischen Entwurf zur Wehr setzen, stellte der amtierende EU-Vorsitzende Schüssel den Vorschlag einer EU-weiten Volksabstimmung in den Raum. Nicht nur, daß diese nach Möglichkeit zeitgleich mit den Europawahlen im Juni 2009 stattfinden soll, um so die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Thema abzulenken. Vielmehr sollte für die Annahme der Verfassung eine Art "doppelter Mehrheit", der Mitgliedstaaten und der Bevölkerung der EU, ausreichend sein, um die Nationalstaaten unter Aufgabe ihrer Souveränität in einen zentralistischen europäischen Bundesstaat hineinzuzwängen.

Das gegenwärtige Gezerre um den "Vertrag über eine Verfassung für Europa", wie das Regelwerk EU-amtlich heißt, hätte sich freilich leicht vermeiden lassen können. Denn trotz aller EU-Skepsis besteht unter den Europäern nach wie vor der Wunsch nach Zusammenarbeit.

Dieser Wunsch beinhaltet allerdings ebensowenig die Bevormundung durch eine ferne, bürokratische Zentrale wie die Mitgliedschaft außereuropäischer, islamischer Länder im "europäischen Klub". Daher wurde beim EU-Gipfel die riesige Chance vergeben, das Projekt EU-Verfassung, das die Bürger ablehnen, endlich auf der Müllhalde der Geschichte zu entsorgen und statt dessen den Startschuß zur Ausarbeitung eines europäischen Grundlagenvertrages für ein Europa der freien und selbstbestimmten Völker und Staaten zu geben.


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