© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/06 23. Juni 2006

Mehr Autonomie
von Alain de Benoist

Das Ergebnis der Volksabstimmung in Katalonien ist keine Überraschung. Zum einen entspricht es einem allgemeinen Trend, der sich seit einigen Jahren in Europa bemerkbar macht: Ähnlich wie die Bundesrepublik von Anfang an Landtage hatte, gewinnen in Italien die Regionen und Provinzen an Bedeutung, und Großbritannien hat unter Tony Blair einen Prozeß der "Devolution" eingeleitet, im Zuge dessen Schottland und Wales eigene Parlamente erhielten. Nur Frankreich bleibt seiner jakobinischen Tradition im wesentlichen treu und begnügt sich mit einer zaghaften "Dezentralisierung". Zum anderen läßt das Referendum den dialektischen Charakter der Globalisierung aufscheinen, die die Welt homogenisiert, gleichzeitig aber als Reaktion darauf neue Bruchlinien und Teilungen herbeiführt. Aus beidem wird deutlich, daß die Zeit der großen Nationalstaaten vorüber ist.

Katalonien strebt seit langem eine Ausweitung seiner Autonomie an. Bemerkenswerterweise hat es dies mit demokratischen Mitteln erreicht - anders als das Baskenland, das allzu lange den Weg des Terrorismus beschritt. Überraschend ist die Enthaltungsrate von 50,6 Prozent. Daß einer von zwei Bürgern Kataloniens nicht einmal die Mühe auf sich genommen hat, mittels des Stimmzettels die so grundsätzliche Frage zu beantworten, ob sein Land eine eigene Nation werden soll oder nicht, gibt zu denken. Handelt es sich um eine Unmutsbekundung gegenüber der politischen Klasse oder um mangelndes Zukunftsinteresse? Vielleicht ist es lediglich die Bedeutung des Begriffs "Nation", die sich uns heute nicht mehr erschließt.


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