© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/06 16. Juni 2006

Lernen im Schlaf, daher Vokabeln lieber abends üben
Deutsche Forschungsgemeinschaft: Schwerpunkte deutscher Forschungsförderung und die Probleme ihrer Vermittlung
Harald Reichel

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) verwaltet einen jährlichen Etat von stattlichen 1,3 Milliarden Euro, die ihr zum größten Teil aus den mit Steuergeldern gefüllten Töpfen von Bund und Ländern zufließen. Daß Forschungsförderung in diesen Größenordnungen nicht zum Bau schöner Elfenbeintürme dient, sondern den "Standort Deutschland" und damit noch das Auskommen des letzten Hartz-IV-Empfängers sichert, dies nachzuweisen bemüht sich in jedem Frühling der Rechenschaftsbericht der DFG, den man samt DVD kostenlos in der Bonner Zentrale des Mammutunternehmens anfordern darf und der natürlich auch als elektronische Version abrufbar ist ( www.dfg.de/jahresbericht ).

Grundlagenforschung ist nicht immer präsentabel

Obwohl der Bericht ein Instrument der DFG-Strategen ist, um ihren Förderauftrag Presse und Öffentlichkeit zu vermitteln und "moderne Wissenschaft" einem breitem Publikum verständlich zu machen, stoßen diese hehren Ziele spätestens bei der Präsentation naturwissenschaftlicher Projekte an Grenzen. Dies wurde deutlich, als im Oktober 2005 der von DFG geförderte Münchener Physiker Theodor Hänsch für seinen Anteil an der Entwicklung der Laserspektroskopie den Nobelpreis erhielt. Das wissenschaftliche Feuilleton stand etwas ratlos vor der Frage, was man mit Hänschs Grundlagenforschungen wohl "anfangen" könne. Aufklärender fallen DFG-Erläuterungen auch nicht aus, wenn sie nun den Aufwand für Forschungen auf Hänschs Domäne oder verwandten Gebieten legitimieren müssen. Alles scheint zwar, nicht nur für naturwissenschaftliche Laien, "irgendwie" auf die Verbesserung der Zeitmessung zuzulaufen. Und mit einer präzisieren Zeitmessung seien Geowissenschaftler in der Lage, Erzvorkommen mittels Gravitationsunterschieden zu messen.

Das klingt aber im Spektrum der sonstigen Anwendungsmöglichkeiten immerhin schon vergleichsweise handfest - was man etwa von der Verheißung, eines fernen Tages Gravitationswellen als "Nachhall von Supernova-Explosionen" messen zu können, nicht behaupten darf. Bedenkt man, daß sich die Projektbeschreibungen der Ingenieurswissenschaften, denen zusammen mit den naturwissenschaftlichen Kollegen die Hälfte des Milliardenetats zufließt, nicht viel leutseliger geben, muß in Bonn wohl noch ein wenig am "Dialog" mit der Öffentlichkeit gefeilt werden, um Physik und Chemie vom Odium der "Geheimwissenschaften" zu befreien. Zumal nicht in jedem Rechnungsjahr wie 2005 auf die Hilfe der Natur zu vertrauen ist. Denn die südostasiatische Tsunami-Katastrophe wie das Hochwasser in Bayern und Sachsen haben die praktische Relevanz zumindest der geowissenschaftlichen Workshops ("Auswirkungen des Tsunami in Thailand"), Schwerpunktprogramme ("Quantitative Niederschlagsvorhersage") und Sonderforschungsbereiche ("Tiefdruckgebiete und Klimasystem des Nordatlantik") der DFG schlagartig verdeutlicht.

Ohne solche "natürlichen" Scheinwerfereffekte kommen die Lebenswissenschaften, Biologie, Medizin, Agrar- und Forstwissenschaften aus, weil das von ihnen erforschte Zusammenspiel von Lebewesen und Lebensräumen jedermann hautnah berührt. Selbst dann, wenn Mann oder Frau schläft, wie man am Sonderforschungsbereich "Plastizität und Schlaf" in Lübeck und Kiel nachzuweisen bemüht ist. Langer und fester Schlaf verbessert die Gedächtnisbildung. Von solchen Resultaten profitieren Ärzte und Patienten. "Daß Vokabeln nicht morgens, sondern abends geübt werden sollten, weil sie während der Schlafphase tiefer im Gedächtnis verankert werden, ist nur eine von vielen praktischen Schlußfolgerungen, die nebenbei auch das geflügelte Wort vom 'Lernen im Schlaf' bestätigt."

Ferner könnten daraus schlafmedizinische Behandlungsstrategien gegen Erkrankungen wie Diabetes, Depressionen oder sogar Alzheimer entwickelt werden. Von ähnlich plausibler Lebensnähe zeugen Forschungen an der Medizinischen Hochschule Hannover, wo man den Ursachen der im Alter gehäuft auftretenden Krebserkrankungen auf der Spur ist, oder die Gießener Untersuchungen von Agrarwissenschaftlern und Ökonomen zur scheinbar simplen, durch die Brüsseler Politik des "Bauernlegens" entstandenen Frage: "Was passiert, wenn sich die Landwirtschaft immer stärker aus einer Region wie dem Lahn-Dill-Kreis zurückzieht?"

Bis zur Aktualitätshascherei auf öffentliche Aufmerksamkeit versessen zeigen sich indes manche Forschungsprogramme der Geistes- und Sozialwissenschaften, die jedoch nur ein Viertel des DFG-Etats verbrauchen. Am weitesten aus dem Fenster gehängt hat sich 2005 dabei die Arbeitsgruppe des Berliner Mediävisten Michael Borgolte. Ihm schien plötzlich fraglich, was in den guten Zeiten des deutschen Gymnasiums noch jeder Untersekundaner wußte: daß Europa auch im Mittelalter zwar keine Einheitskultur aufwies, an der Dominanz des Christlichen aber kaum zu zweifeln ist. Borgolte geht es nun darum, historiographisch das Hauptargument der Gegner eines EU-Beitritts der Türkei ins Wanken zu bringen, wonach der Kontinent seit dem Mittelalter christlich geprägt sei, die Kleinasiaten aus Anatolien also kulturell nicht dazugehörten. Folglich wolle er nachweisen, daß es im Mittelalter keine Einheit, nur eine "Gefüge von Einheiten" gegeben habe und so "europäische Identitätsbildung historisch problematisieren".

Stärkere Tendenzen zu interdisziplinärer Forschung

Ein roter Faden ist, sieht man einmal ab von den inhaltlich-thematisch irrelevanten, sich jährlich verstärkenden Tendenzen zu interdisziplinärer und internationalisierter Forschung oder der effizienter werdenden Nachwuchsförderung, in dieser bunten Palette der "Aufgaben und Ergebnisse" deutscher Forschungsförderung kaum zu erkennen. Die DFG-Politik scheint aber zu bestätigen, was Helmut Gassler, Wolfgang Polt (beide Wien) und Christian Rammer (Mainz) im nahezu unlesbaren Politologenjargon über "Schwerpunktsetzungen in der Forschungs- und Technologiepolitik" (Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 1/2006) als Resultat ihres internationalen Vergleichs von "Technologiepolitiksystemen" herausgefunden haben. Demnach scheint Deutschland sich von den Großtechnologien in Rüstung, Atomenergie, Luft- und Raumfahrt verabschiedet zu haben. Auch sonst bezögen sich die thematischen Schwerpunktsetzungen nicht mehr vorrangig auf die Hervorbringung konkreter neuer Technologien, sondern "auf Problemlösungen bzw. die Befriedigung bestimmter (erwarteter) gesellschaftlicher Bedürfnisse", die sich auf den "Problemfeldern" wie "Mobilität, demographischer Wandel und alternde Gesellschaften, Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden" artikulieren. Der von 459 (2002) auf 522 (2005) Millionen Euro gestiegene DFG-Etat für die Lebenswissenschaften scheint diesen Befund zu bestätigen.


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