© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/06 16. Juni 2006

DVD: Doku
Ungerafft
Martin Lichtmesz

Rechtzeitig zur Fußballweltmeisterschaft hat Zweitausendeins eine cineastische Kuriosität aus der Versenkung geholt und auf DVD herausgebracht: "Fußball wie noch nie" (1970) von Hellmuth Costard ist wahrscheinlich der eigenwilligste Film, der jemals über das runde Leder gedreht wurde.

Am 12. September 1970 ließ der "deutsche Godard" sechs Sechzehn-Millimeter-Kameras im Stadion von Old Trafford positionieren, um ein Match zwischen Manchester United und Coventry City aufzuzeichnen. Die Kameramänner hatten strikte Anweisung, ausschließlich auf den Star von Manchester United zu halten, den legendären Linksaußenstürmer George Best. Das gesamte Spiel hindurch verfolgen die Kameras in ungeraffter Echtzeit à la Andy Warhol den charismatischen Nordiren "in der Rolle seines Lebens" (so der Vorspanntext) und registrieren jede seiner Bewegungen.

Der Film verzichtet auf einen Kommentar, lediglich Gejohle und Sprechchöre der Fans sind zu hören. Best schoß ein Tor, bereitete ein zweites vor, Manchester siegte mit 2:0, und der Daily Mirror bescheinigte ihm, Coventry fast "im Alleingang an die Wand" gespielt haben. Im fertigen Film war jedoch kaum etwas von der üblichen Spannung eines Fußballspiels erhalten geblieben.

Als der Streifen dann vom ARD am 29. März 1971 zur besten Sendezeit ausgestrahlt wurde, waren die Enttäuschung und Empörung der Zuschauer grenzenlos. Exemplarisch war der Spott von Hörzu, die Costard empfahl, doch bitte als nächstes einen Film über einen "Torpfosten" zu drehen - "aber bitte ohne 'Pfostenschuß', sonst wird es ja schon wieder spannend." Der spätere Bundestrainer Jupp Derwall schrieb, der Film sei "sportlich inhaltslos und für den Fußballfachmann eine beleidigende Aussage über die Aufgaben eines Spielers im Spiel".

Costard jedenfalls konnte sich beglückwünschen: Der Skandal war ein durchaus erwünschter Nebeneffekt. Der 1940 geborene Costard zählte mit Klaus Wyborny, Werner Nekes und Heinz Emigholz zu jenen radikalen Ikonoklasten der sechziger und siebziger Jahre, deren sperrige, experimentelle Arbeiten dem "Schwachsinn der etablierten Filmindustrie" den Krieg erklärten. Costard, dessen erster Film den Freiheitskampf der Kurden im Iran behandelte und der mit dem Filmstudenten und späteren RAF-Terroristen Holger Meins befreundet war, war ein typischer Vertreter der kulturrevolutionären Linken jener Jahre, die mit avantgardistischem Agitprop, elitärer Langeweile und konsumfeindlicher Kopflastigkeit zur Revolte aufrief.

"Fußball wie noch nie" war ein subversiver Scherz, eine gezielte Publikumsfrustration. Costard, der im Gegensatz zu anderen Filmemachern wie Fassbinder, Pasolini oder Wender, kein Fußballfan war, starb 2000 an einer Krebserkrankung. George Best, den Fußballgott Pelé einst als den besten Spieler der Welt bezeichnete, erlag im November 2005 den Folgen seines exzessiven Alkoholkonsums. "Fußball wie noch nie" ist ein bizarres Stück Filmgeschichte, das vor allem eingefleischte Cineasten und ebenso eingefleischte Best-Fans interessieren wird.

Foto: DVD: George Best, "Fußball wie noch nie", Zweitausendeins


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