© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/06 16. Juni 2006

Die Nixe als Blondine
Kino: "Aquamarin"
Claus-M. Wolfschlag

Die schüchterne Claire (Emma Roberts) und ihre beste Freundin Hailey (JoJo Levesque), zwei amerikanische Teenager, verbringen den Sommer in Florida am Meer. Beide schwärmen für den braungebrannten, attraktiven Rettungsschwimmer Raymond (Jake McDorman). In einer stürmischen Nacht geschieht Seltsames. Hohe Wellen schwappen an Land, und die beiden Mädchen entdecken eine angespülte Meerjungfrau.

Aquamarin (Sara Paxton), ein hübsches, blondes Mädchen mit blau schimmerndem Fischschwanz, ist auf der Flucht vor ihrem zornigen Vater, dem Herrn der Meere, der sie zur Heirat mit einem unattraktiven Wassermann zwingen will. Der Vater ließe sich nur besänftigen, wenn Aquamarin ihm beweisen könnte, daß es wahre Liebe gibt. Wenn die Mädchen ihr dabei helfen, würde ihnen ein Wunsch erfüllt, verlautbart die Nixe. Sie steigt aus dem Wasser. An Land bekommt sie menschliche Beine, die sich nur bei Mondlicht und in Berührung mit Wasser in den Fischrumpf rückverwandeln. Nach einer Zufallsbegegnung mit Raymond setzt sich Aquamarin rasch in den Kopf, seine Liebe zu gewinnen ...

Meerjungfrauen waren im Mittelalter stark dämonisierte Sagengestalten, die symbolisch für menschliche Urängste standen. Erst mit der Romantik erhielt die Nixe ein freundlicheres Wesen, das ihr die Bedrohlichkeit weitgehend nahm. Arnold Böcklin malte 1883 sein ausgelassenes "Spiel der Wellen", Franz von Stuck 1891 sein bekanntes "Meerweibchen". Und so verwundert es nicht, daß sich später auch die Filmindustrie der Figur positiv annehmen konnte. Meist verkörpert die Nixe hier ein trauriges Wesen auf der Suche nach der Liebe zu einem Menschen. Die Überwindung der Barriere zwischen der Erd- und der Wasserwelt erweist sich dabei häufig als unmöglich; letztlich bleibt nur die Entscheidung für das eine oder das andere.

Die bekannteste Verfilmung stammt 1975 von dem Tschechen Karel Kachyna, basierend auf dem Märchen von Hans Christian Andersen, mit "Die kleine Meerjungfrau". In diesem herzzerreißenden Werk rettet die Meerjungfrau einem Prinzen das Leben und verliebt sich in ihn. Sie verläßt das Reich des Meereskönigs, ihres Vaters, um fortan unter den Menschen zu leben. Dafür muß sie aber ihre Stimme opfern. So lebt sie lange Jahre am Hof des Prinzen, ohne ihm offenbaren zu können, daß er ihr sein Leben verdankt. Erst als der Prinz eine andere ehelichen soll, bittet die Nixe ihren Vater, ins Meer zurückkehren zu dürfen. Doch dieser fordert als Voraussetzung dafür, daß sie den Prinzen tötet. Da sie dieser Forderung aus Zuneigung nicht nachkommen kann, scheint ihr eigenes Schicksal besiegelt. Aus ihrem gebrochenen Herz erwachsen Seerosen, die das Meer in einen blühenden Garten verwandeln.

Die tragisch-schöne Geschichte um eine Liebe, die sich nicht mitteilen kann, wird bei Elizabeth Allen zu einer Klamotte verwurstet. Meerjungfrau Aquamarin bleibt leider nicht stumm, sondern plappert unentwegt und paßt sich mit erstaunlicher Schnelligkeit dem Klischeebild der geistig minderbegabten Blondine an. Dabei schwankt sie stets zwischen infantilem Gehabe und erotischer Koketterie. Gequieke und Gekreische pubertierender Gören übertönen jeden stimmungsvollen Ansatz. Dadurch geht dem Film bis auf wenige Einfälle und Szenen jeder Charme verloren. "Aquamarin" ist somit nur eine weitere dünngestrickte Teenie-Komödie geworden.


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