© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/06 16. Juni 2006

Amigo-Affäre im Jubiläumsjahr
Kommunalpolitik: Der suspendierte Dresdner Oberbürgermeister Roßberg steht wegen Untreue vor Gericht
Paul Leonhard

Dunkle Wolken sind über Dresden aufgezogen. Nicht nur weil der sächsischen Landeshauptstadt wegen des geplanten Neubaus einer Elbbrücke die Aberkennung des Weltkulturerbe-Status droht (JF 50/05). Oder weil gerüchteweise die Produktion des VW-Phaeton in der "Gläsernen Manufaktur" aus Kostengründen eingestellt werden soll. Sondern vor allem, weil "Elbflorenz" seit Wochen führungslos ist. Der seit Mitte Mai vom zuständigen Regierungspräsidenten suspendierte Oberbürgermeister Ingolf Roßberg muß sich seit 6. Juni vor dem Dresdner Landgericht verantworten. Ausgerechnet im 800. Jahr der Stadtgründung, wo die Dresdner eigentlich mit Gästen aus aller Welt feiern wollten, berichten die Medien bundesweit nicht über sächsische Kunst und Kultur, sondern über eine Amigo-Affäre.

Das Stadtoberhaupt mit FDP-Parteibuch steht gemeinsam mit seinem Ex-Flutgeldmanager Rainer Sehm vor Gericht. Im April 2005 hatte die Staatsanwaltschaft gegen Roßberg Anklage wegen Beihilfe zum Bankrott und Untreue erhoben. Später kam der Verdacht der Vorteilsnahme im Amt hinzu. Insgesamt soll der 45jährige 100.000 Euro städtischer Gelder veruntreut haben. Dem 55jährigen Sehm werden vorsätzlicher Bankrott in elf Fällen sowie Bestechlichkeit zur Last gelegt.

Die Vorwürfe führen in die Zeit der Hochwasserkatastrophe vom August 2002 zurück. In Dresden ging es drunter und drüber. Die Innenstadt und einige eingemeindete Ortschaften standen komplett unter Wasser. Die Schäden beliefen sich auf Millionenhöhe. Die Bundesregierung und die Bevölkerung half mit Millionen-Spenden beim Wiederaufbau. Allerdings sah sich die Dresdner Stadtverwaltung, die schon während des Hochwassers selbst grandios versagt hatte, außerstande, die 316 Millionen Euro Fluthilfe zu verteilen.

Oberbürgermeister Roßberg bat daher seinen Freund Sehm um Hilfe. Dieser hatte Roßberg - der 1961 in Dresden geboren wurde, aber später zunächst Beigeordneter in Wuppertal war - 1994 als Beigeordneten in das bei Dresden gelegene Radebeul geholt. 2001 war Sehm dann in der Wahlkampfmannschaft von Roßberg dabei.

Zwei Jahre später setzte Roßberg den Duzfreund als Flutgeld-Koordinator ein. Sehm erhielt zwischen April 2003 und März 2004 dafür ein monatliches Honorar von 2.600 Euro, das aus Mitteln des Regierungspräsidiums finanziert wurde. Soweit war aus Sicht der Staatsanwaltschaft alles korrekt. Allerdings vervielfachte Roßberg - ohne den Stadtrat zu informieren - plötzlich das Honorar seines Mentors rückwirkend zum 1. Januar 2004. Das Regierungspräsidium meldete Bedenken an und stellte die Förderung ein.

Parteien richten sich schon auf Neuwahlen ein

Für Sehm kam der Vertrag mit der Stadt wie gerufen. Das Speditionsunternehmen des früheren DDR-Ralleyfahrers war 2000 pleite gegangen. Auf Roßbergs Rat hatte Sehm Privatinsolvenz angemeldet. Seine Koordinierungsarbeit für Dresden leistete er erst als Selbständiger, dann als Angestellter der Firma Actor Consulting - inzwischen steht fest, daß Sehm der einzige Angestellte war. Der Verdacht: Seine Einkünfte sollten an den Gläubigern vorbeigeschleust werden. Überdies werfen Ermittlungen einen weiteren Verdacht auf: Roßberg soll Sehm in zwei Fällen an Firmen als Berater empfohlen haben.

Während Roßberg vergangene Woche vor Gericht seine Unschuld beteuerte und am Montag der Anklagebehörde "Unterstellungen" vorwarf, hatte sich der Mitangeklagte Sehm gleich zu Prozeßbeginn auf einen "Deal" eingelassen. Nachdem der Richter ihm bei einem umfassenden Geständnis eine maximale Strafe von zwei Jahre (bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug könnten drohen) auf Bewährung zusicherte, räumte der Ex-Flutgeld-Koordinator mehrere der Tatvorwürfe ein und brachte den Oberbürgermeister damit in Bedrängnis. Allerdings hatte Roßberg schon vor dem Prozeß angekündigt, im Falle einer Verurteilung in Revision zu gehen. Im übrigen erwartet ihn nach dem Prozeß ein Disziplinverfahren wegen einer weiteren Amigo-Affäre.

Deswegen gilt es selbst im Fall eines Freispruchs als unwahrscheinlich, daß Roßberg ins Amt zurückt. Die Mehrheit des Stadtrates war unzufrieden mit dem glücklosen Agieren des Liberalen, der es nicht verstand, Dresden auf einen kontinuierlichen Kurs zu bringen. Und Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt hat die Affäre um den OB ohnehin keine. Die wirklich wichtigen Entscheidungen werden nicht im Rathaus, sondern auf der anderen Seite der Elbe in der Sächsischen Staatskanzlei getroffen.

Auch wenn die Unschuldvermutung gilt, innerlich stellen sich die Dresdner Parteien bereits auf Neuwahlen ein. Durch die bundesweiten Schlagzeilen habe die Landeshauptstadt Schaden genommen, sagte Grünen-Sprecher Jens Hoffsommer. Sollte Roßberg verurteilt werden, "werden wir ihn zum Rücktritt auffordern oder ein Abwahlverfahren in Ganz setzen". Sachsens Ministerpräsident und CDU-Landeschef Georg Milbradt dürfte den Roßberg-Prozeß mit einem lachenden und einem weinenden Auge sehen. Immerhin bietet sich für die Christdemokraten nach einem Rücktritt Roßbergs die Chance, im eigentlich konservativen Dresden schon vor den nächsten regulären Wahlen 2008 wieder einen CDU-Politiker als Stadtoberhaupt zu plazieren, andererseits dürfte sie die Äußerung Roßbergs beunruhigen, Sehm sei ihm von der Staatskanzlei als Flutgeld-Koordinator empfohlen worden.

Der Verkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaft (Woba) an die - von Franz Müntefering als "Heuschrecken" angeprangerten - ausländischen Finanzinvestoren, der bundesweit für Schlagzeilen sorgte (JF 12/06), spielt bislang in der "Roßberg-Affäre" übrigens noch keine Rolle. Das dürfte sich aber im Wahlkampf ändern: Denn der "Deal" kam nur durch eine Stimmkoalition aus CDU, FDP und Teilen der Linkspartei/PDS-Fraktion zustande.


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