© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/06 09. Juni 2006

Pluralismus oder Wehrhaftigkeit
Das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands vor fünfzig Jahren warf die Frage auf, wie demokratisch Demokratien sein sollen
Christian Vollradt

Über 300 Seiten umfaßt die Begründung des Urteils, mit dem am 17. August 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) durch das Bundesverfassungsgericht verboten wurde. Unter Bezug auf die "klassischen" Schriften des Marxismus-Leninismus legten die obersten Richter der Bundesrepublik dar, daß der auf die Errichtung einer Diktatur des Proletariats abzielende Kommunismus mit der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" unvereinbar sei.

Mit dem Verbot der KPD ist juristisch umgesetzt worden, was den Verfassern des Grundgesetzes unter dem Begriff "wehrhafte Demokratie" (Artikel 18 und 22 Absatz 2) vorschwebte und was der damalige Bundesinnenminister Gustav Heinemann 1950 mit Blick auf negative Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit so formuliert hatte: "Anders als in der Weimarer Republik sollte sich unsere junge Demokratie entschlossen gegenüber den Gegnern der inneren Freiheit den erforderlichen Respekt zu verschaffen wissen." Im Falle der Kommunisten verlief dies jedoch nicht ohne Hindernisse, wie ein Blick auf die Genese des Verbotsverfahrens zeigt.

Nur zwei Monate nach der Konstituierung des Bundesverfassungsgerichtes im September 1951 beantragte die Bundesregierung das Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) und der KPD. Ein Jahr zuvor war der bereits gegen die Agitation dieser beiden Parteien gerichtete Beschluß gefaßt worden, der die "politische Betätigung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes gegen die demokratische Grundordnung" untersagte. Ohne größere Schwierigkeiten verlief das Verfahren gegen die rechtsradikale SRP, deren Verbot das Gericht bereits am 23. Oktober 1952 verkündete; unschwer war nachgewiesen worden, daß die Partei neo-nationalsozialistisches Gedankengut vertrat, indem sie die totalitäre, antiparlamentarische Ideologie der NSDAP samt "Führerprinzip" fortführte. Die von der SRP proklamierte Loyalität zum Grundgesetz wertete das Gericht als bloße Fassade und verwies darauf, daß auch Hitler einen Eid auf die Weimarer Reichsverfassung geschworen habe. In ihrer Begründung hoben die Richter hervor, daß gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes Parteien nicht bloß eine gesellschaftliche Funktion hatten, sondern bezogen auf die politische Willensbildung die Funktion eines Verfassungsorgans ausübten. Sinnvollerweise könnten daher nur solche Parteien daran teilhaben, die auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stünden.

Diese definierte das Bundesverfassungsgericht als "Gegenteil des totalen Staates", als eine an die Werte "Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde" gebundene rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der "Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und den Prinzipien der Freiheit und Gleichheit". Die freiheitliche Demokratie könne nicht denen gegenüber neutral bleiben, die sich nach den oben genannten Regeln nur so lange bewegten, bis sie den staatlichen Machtapparat in den Händen hielten, argumentierten die Richter - wieder mit Bezug auf die Weimarer Republik.

Im Falle der KPD war diese Argumentation zunächst schwieriger. Denn während schon die alliierten Besatzungsmächte ausdrücklich jede politische Betätigung im Sinne des Nationalsozialismus untersagt hatten, war die KPD, die sich am 11. Juni 1945 wiederbegründet hatte, ausdrücklich von allen vier Mächten als demokratische Partei zugelassen worden. Darüber hinaus hatte sie in mehreren deutschen Ländern an den in der ersten Nachkriegsphase üblichen Allparteienregierungen mitgewirkt.

Das "Regime Adenauer" sollte gestürzt werden

Aber das Verfassungsgericht hob die Ausnahmestellung des Jahres 1945 hervor: Der damals gültige Demokratiebegriff sei negativ - als "Antifaschismus" - bestimmt gewesen; das Grundgesetz verleihe Demokratie jedoch einen positiven Inhalt, und nur nach diesem sei die kommunistische Partei zu beurteilen; aus der antifaschistischen wurde eine antitotalitäre Argumentation. Das Gericht betonte jedoch mit Hinweis auf die Meinungsfreiheit, daß nicht schon diejenige Partei verfassungswidrig ist, die die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht anerkennt bzw. sie ablehnt. Hinzukommen müsse für diese Bewertung noch eine "aktiv kämpferische, aggressive Haltung". Eine solche sahen die Richter im Programm der KPD vom November 1952 gegeben, wo es unter anderem hieß: "Deshalb muß das Regime Adenauer gestürzt und auf den Trümmern dieses Regimes ein freies, einheitliches, unabhängiges, demokratisches und friedliebendes Deutschland geschaffen werden."

Im Angriff auf das "Adenauer-Regime" sah das Gericht also implizit eine prinzipielle Feindschaft der KPD gegen die politische Ordnung der Bundesrepublik. Indirekt stützten die Richter damit auch die deutschlandpolitische Position der Bundesregierung, wonach die (nicht nur von Kommunisten ausgegebene) Parole von der vorrangig zu betreibenden nationalen Einheit mit der Zielsetzung der Bundesregierung auf eine "Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit" - mit einem Vorrang der Westbindung - unvereinbar sei. An diesem Punkt lag eine Gefahr des Urteils: Da ein Verbot der KPD unrevidierbar war, wären die Hürden für eine zügige Wiedervereinigung hoch gewesen, wenn etwa in Vorbereitung auf mögliche gesamtdeutsche Wahlen eine kommunistische Partei als westliches Pendant zur SED hätte zugelassen werden müssen.

Auch bei den Verfassungsrichtern waren daher starke Bedenken gegen das Verbotsverfahren vorhanden. So fragte der Gerichtspräsident Josef Wintrich im November 1954 bei Adenauer an, "ob die Bundesregierung an ihrem Antrag weiterhin festhalte", und der Verfahrensteil begann erst, nachdem diese Frage bejaht worden war.

Starke Bedenken der Richter gegen das Verbotsverfahren

Mit dem Verbot der KPD entschied das Gericht gemäß den verfassungsrechtlichen Bestimmungen. "Politische Zweckmäßigkeitsentscheidungen" seien ihm versagt, so sein Präsident Wintrich. Allerdings ließ die "Streckung" des Verfahrens erkennen, daß den Richtern das Verbot politisch wenig opportun schien.

War es sinnvoll, so fragte der Historiker Alfred Grosser, "einer politischen Gruppe den Garaus zu machen, die gerade dabei war, eines natürlichen Todes zu sterben?"

Immerhin war die KPD seit 1953 nicht mehr im Bundestag vertreten, sie hatte bundesweit lediglich 608.000 Stimmen erhalten (1949 immerhin noch 1,3 Millionen), und ihre Mitgliederzahl sank von über 300.000 im Jahre 1946 auf etwa 80.000 im Jahre 1953. Zudem hatten der Blick auf die Zustände im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands und die Erfahrungen der Spätheimkehrer den Antikommunismus der bundesdeutschen Gesellschaft bestärkt. Im übrigen hielten viele Zeitgenossen schon damals das staatliche Gefüge der Bundesrepublik für stark genug, um die Kommunisten auch ohne Parteiverbot zu bewältigen.

Diese Argumentation setzte sich im Laufe der sechziger Jahre durch, so daß sich am 27. Oktober 1968 eine Nachfolgepartei - die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) - legal in der Bundesrepublik gründen durfte.

Foto: DKP-Gründungsparteitag 1968: Später wurden Kommunisten auch ohne Parteiverbot bewältigt


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