© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/06 09. Juni 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Optimismus
Karl Heinzen

Der in den vergangenen Monaten aufgeflackerten Diskussion über Migration und Integration ist zugute zu halten, daß sie sich eines Themas annimmt, das für unser Land von zentraler Bedeutung ist. Dem unausrottbaren Bedürfnis der Medien folgend, vor allem schlechte Nachrichten zu kolportieren, hat sie sich jedoch ausschließlich an unerfreulichen Ereignissen wie vermeintlichen Exzessen an Berliner Hauptschulen, ausländerfeindlichen Übergriffen oder sogenannten "Ehrenmorden" entzündet. Die Debatte kreist daher um Ausnahmeerscheinungen und nicht um den Regelfall gelingenden Miteinanders. Insgesamt mangelt es ihr an einer optimistischen Grundstimmung.

Diese Schieflage scheint nun Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble beenden zu wollen. Auf einer Veranstaltung des Deutschen Städtetages stellte er klar, daß "Migration nicht in erster Linie Bedrohung, sondern Bereicherung ist". Seine Zuversicht schöpft er aus der erfolgreichen Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge nach 1945. Diese habe man in seiner "Schwarzwälder Heimat" anfänglich auch "ziemlich scheel angeguckt". Letztendlich sei aber ein Zusammenleben von Alteingesessenen und Neubürgern möglich gewesen.

Das von Wolfgang Schäuble gewählte Beispiel erfolgreicher Integration von Migranten gibt einen Hinweis darauf, wie der für manche Wähler immer noch kaum nachvollziehbare Gesinnungswandel der Unionsparteien auf diesem Politikfeld erklärt werden mag. Zur Erinnerung: Noch in der Ära Kohl vertraten CDU und CSU die Auffassung, die Bundesrepublik sei eigentlich kein Einwanderungsland. Es kam ihnen nicht in den Sinn, die Migranten von heute mit jenen von einst zu vergleichen, weil sie die Vertriebenen simpel als Deutsche ansahen. Diese auf antiquitierten ethnischen Kriterien fußende Spitzfindigkeit läßt sich heute niemand mehr zuschulde kommen. Migranten sind allesamt in erster Linie Menschen und haben daher grundsätzlich die gleichen Probleme, sich in der neuen Heimat zurechtzufinden.

Zudem stammten die "deutschen" Vertriebenen überwiegend aus Gebieten, die heute zu Polen, Rußland oder Tschechien gehören. Entsprechend groß dürften auch bei ihnen die kulturellen Eigentümlichkeiten gewesen sein, mit denen die Einheimischen in ihren neuen Siedlungsgebieten konfrontiert wurden. Auch sie neigten im übrigen zunächst eher den Sozialdemokraten zu und fanden erst allmählich zur Union. Selbst in dieser Hinsicht darf Wolfgang Schäuble also bezüglich der Migranten von heute optimistisch sein.


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