© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/06 09. Juni 2006

Erziehung hinter Gittern
Jugendstrafrecht: Anhaltende Diskussion um Urteile für junge Täter / Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes
Peter Müller

Das Bundesverfassungsgericht hat in der vergangenen Woche im Zuge einer Verfassungsbeschwerde eine Entscheidung veröffentlicht, die eine gesetzliche Regelung für das Jugendstrafvollzug erforderlich macht. Damit schaltete sich das höchste deutsche Gericht in die andauernde Diskussion um das Jugendstrafrecht ein. Besonders angesichts junger Straftäter wie des zur Tatzeit 18jährigen Ayhan Sürücü, der im vergangenen Jahr in Berlin seine Schwester mit drei gezielten Kopfschüssen hinrichtete und für diesen "Ehrenmord" nach Jugendstrafrecht zu neun Jahren und drei Monaten Gefängnisstrafe verurteilt wurde, werden immer wieder Stimmen in Politik und Bevölkerung laut, die dafür plädieren, das Jugendstrafrecht zu verschärfen oder sogar abzuschaffen.

Bei solcherlei Kritik muß jedoch beachtet werden, daß vielfach nicht das Jugendstrafrecht selbst, sondern oft nur dessen Anwendung mangelhaft ist.

Das Jugendstrafrecht ist ein speziell auf Jugendliche zugeschnittenes Rechtsgebiet, das bei jugendlichen Straftätern zwischen 14 und 18 Jahren zwingend und bei Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren fakultativ angewandt wird. Im Vordergrund steht nicht wie bei erwachsenen Straftätern die Bestrafung an sich, sondern vielmehr der erzieherische Aspekt, durch den versucht wird, die jungen Straftäter wieder auf den rechten Pfad zurückzuführen.

Ob bei Heranwachsenden noch Jugendstrafrecht angewandt wird, hängt von deren "sittlicher und geistiger Entwicklung" ab. Kritikwürdig sind hier vor allem Richter, die den jungen Erwachsenen zu leichtfertig diese Reife absprechen und so die vom Gesetzgeber vorgesehene Möglichkeit, das Jugendstrafrecht anzuwenden, durch permanenten Gebrauch ad absurdum führen.

Einigen Gegnern des Jugendstrafrechts geht jedoch selbst die fakultative Anwendung des Jugendstrafrechts bei Heranwachsenden zu weit. Sie wenden ein, es könne nicht sein, daß jemand, der sein 18. Lebensjahr vollendet habe, sich zivilrechtlich zwar vollumfänglich durch Verträge binden könne und so -etwa durch eine totale Verschuldung -sein weiteres Leben eigenverantwortlich ruiniere, er aber auf der anderen Seite im Rahmen des Strafrechts wie ein unmündiger Jugendlicher behandelt werde.

Immer wieder werden auch Stimmen laut, die den Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts anzweifeln. Prominenter Vertreter dieser Kritiker ist der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch, der sogar die CDU verließ, um mit einer eigenen Partei die Abschaffung des Jugendstrafrechts zu verfolgen (JF 19/06).

Kusch und andere führen an, daß jugendliche Straftäter zunehmend Wiederholungstäter seien, die in ihrer Vorgehensweise immer brutaler und gleichgültiger werden, und der Erziehungsaspekt somit ins Leere laufe. Um der Verrohung der Straftäter Herr zu werden, müsse man sie die volle Härte des Strafrechts spüren lassen.

Verhandelt wird unter Ausschluß der Öffentlichkeit

Bei der vielfältigen Kritik am Jugendstrafrecht müssen allerdings verschiedene Punkte differenziert betrachtet werden: zum einen die Strafe, dann die Prozeßführung und letztendlich der Strafvollzug. Nach dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) stehen verschiedene Maßnahmen zur Verfügung. Das mildeste Mittel sind die Erziehungsmaßregeln, bei denen dem Jugendlichen eine Verpflichtung auferlegt wird, durch die sein Unrechtsbewußtsein geschärft werden soll. Solche Erziehungsmaßregeln können zum Beispiel Sozialstunden oder Antiaggressionskurse sein.

Eine etwas verschärfte Variante ist das sogenannte Zuchtmittel, durch das dem Jugendlichen die Bedeutung einer Strafe bewußt gemacht wird. Eine solche Möglichkeit stellt beispielsweise der Jugendarrest dar, den der Täter in seiner "Freizeit" zu verbüßen hat.

Das schärfste Mittel, welches im JGG angelegt ist, ist die Jugendstrafe, die der Erwachsenenstrafe angenährt ist, jedoch höchstens zehn Jahre betragen darf und in einer Jugendstrafanstalt verbüßt werden muß.

Verhandelt wird eine Jugendstrafsache vor einen Jugendstrafrichter unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Dadurch soll insbesondere ein hohes Maß an Schutz der Jugendlichen erreicht werden, denn durch ein "Anprangern" in einem öffentlichen Prozeß könnte die möglicherweise noch nicht voll ausgeprägte Persönlichkeit nachhaltig geschädigt werden.

Beobachtet man jedoch die abgebrühte, ja geradezu dreiste Vorgehensweise jugendlicher Straftäter und die besondere Härte und Rücksichtslosigkeit, mit der sie oft gegen ihre Opfer vorgehen, sowie die anschließend häufig fehlende Einsichtsfähigkeit, muß man sich allerdings fragen, ob nicht gerade die bewußte Konfrontation mit der Öffentlichkeit schon eine erste erzieherische Maßnahme sein kann.

Der dritte Punkt, den jüngst auch das Bundesverfassungsgericht aufgegriffen hat, ist der Jugendstrafvollzug. Da sich eine Freiheitsstrafe für einen Jugendlichen besonders einschneidend auswirke, sei insbesondere auf die besondere "biologische, physische und soziale" Situation Rücksicht zu nehmen, die mit "Spannungen, Unsicherheiten und Anpassungsschwierigkeiten" verbunden sein, so die Karlsruher Richter.

Um dies zu gewährleisten, müsse eine gesetzliche Grundlage gefunden werden, die dieser Problematik Rechnung trage. Mit diesem Hinweis bekannte sich das höchste deutsche Gericht klar zum Jugendstrafrecht.

Die momentane Diskussion um das Jugendstrafrecht wird angesichts der widerstreitenden Positionen Schwachstellen in Ausgestaltung und Anwendung dieses Rechtsgebietes aufdecken und zu einer Anpassung an die tatsächlichen Bedürfnisse beitragen. Grundsätzlich zeigt sich jedoch, daß das Jugendstrafrecht, um das Deutschland von vielen anderen Ländern beneidet wird, seinen Sinn und seine Notwendigkeit hat, wenn die gegebenen Möglichkeiten voll ausgeschöpft werden.


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