© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/06 09. Juni 2006

"Natürlich wird vertuscht"
Interview: Peter Scholl-Latour über das Massaker von Haditha
Moritz Schwarz

Herr Scholl-Latour, hat George Bush zu lange gezögert, mit dem Fall des Massakers im irakischen Haditha an die Öffentlichkeit zu gehen?

Scholl-Latour: Präsident Bush ist der Gefangene seiner Lügen. Er hat den Sieg - "Mission accomplished!" - schon verkündet, die strahlende Demokratisierung des Irak durch die amerikanische Armee schon gepriesen. Und jetzt werden die Amerikaner mit der Wirklichkeit konfrontiert.

Ist vertuscht worden?

Scholl-Latour: Natürlich! Die Politik war informiert. Es ist wie bei Abu Ghraib: Mir kann keiner einreden, das sei ohne das Wissen höherer Stellen passiert! Die Version "Das war nur Lynndie England" ist doch nicht ernstzunehmen.

Müssen also politische Konsequenzen folgen?

Scholl-Latour: Schon im Fall Abu Ghraib hätten die verantwortlichen Offiziere ebenso belangt werden müssen wie die unteren Chargen. Der Fehler liegt im System.

Nämlich?

Scholl-Latour: Die amerikanische Armee von heute ist eine Berufsarmee, in der vor allem die ärmeren und unbedarften Schichten vertreten sind, darunter viele Neubürger, die mit diesem Dienst die Staatsbürgerschaft erlangen. Leute, die man mit Rambo-Filmen aufgepeitscht hat und die angesichts eigener Verluste schnell in Hysterie verfallen.

Den Fall Haditha hat offenbar das Magazin "Time" ans Licht gebracht. Warum ist das Militär nicht in der Lage, solche Fälle von sich aus aufzuarbeiten?

Scholl-Latour: Nicht die Presse bringt das ans Licht, denn die Journalisten bekommen die Informationen doch auch nur zugespielt. Das US-Massaker von My Lai in Vietnam 1968 ist nur bekanntgeworden, weil zufällig Angehörige einer anderer Einheit vorbeikamen. Die Männer der Einheit, die das Massaker angerichtet haben, hätten das Verbrechen vermutlich nicht gemeldet.

Warum aber klärt das Militär solche Fälle nicht auf, die meisten Soldaten befürworten doch selbst nicht das Töten von Frauen und Kindern oder das Foltern von Gefangenen?

Scholl-Latour: Um das zu verstehen, muß man sich in die Situation des Partisanenkrieges versetzen. Oft dominiert das Gefühl einer falschen Kameradschaft. Auch wenn der Täter verbrecherisch handelt, sagt man eher "Du bist ein Schwein!", als daß man ihn denunziert.

Haben Sie denn Vertrauen in die Aufklärung des Falles?

Scholl-Latour: Nein, das wird wie in früheren Fällen halb erstickt und halb auf ein paar Sündenböcke abgewälzt werden. Der Fehler liegt in der Natur der Kommandoführung, die die Soldaten aufputscht und sie dann aber nicht ausreichend in die Disziplin nimmt und ihnen obendrein Aufgaben zuweist, denen sie psychisch nicht gewachsen sind.

Also ein amerikanisches Problem?

Scholl-Latour: Nein, nicht nur. Das Problem besteht darin, daß man in eine Phase des Krieges eingetreten ist - man nennt das "asymmetrische Kriegführung" -, in der es keine Spur von Ritterlichkeit mehr gibt. Im Partisanenkrieg gibt es wenig Raum für Menschlichkeit.

Handelt es sich beim Fall Haditha also möglicherweise nur um die Spitze des Eisberges?

Scholl-Latour: Sehr wahrscheinlich ja. My Lai war auch kein Einzelfall. Es hat in Vietnam mehrere My Lais gegeben. Das Besondere an My Lai ist lediglich, daß es herausgekommen ist. Manche zivilen Opfer werden nie als solche erkannt, weil man sie nachträglich zu getöteten Freischärlern umdeklariert. Auch in Vietnam war das schon so.

Der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki wirft den US-Soldaten laut "Spiegel" vor, fast schon gewohnheitsmäßig Zivilisten anzugreifen. Es handle sich um ein alltägliches Phänomen: "Sie zerquetschen sie mit ihren Fahrzeugen und töten sie nur auf Verdacht hin."

Scholl-Latour: Ich würde mir diese Formulierungen nicht zu eigen machen. Sicherlich bringen US-Soldaten in der Regel nicht mit Absicht Iraker um. Aber ein Unfall - nicht umsonst haben sie bei der Bundeswehr den Spitznamen "die Cowboys" - ist schnell passiert. Im Irak hält man zu US-Truppen besser Abstand. Denn kommt es zu Zwischenfällen erweisen sich die GIs gerne als trigger-happy - das heißt, sie drücken zu schnell den Abzug ihrer Waffen.

Ist vorstellbar, daß früher oder später so etwas auch einmal von Bundeswehrsoldaten verübt werden könnte?

Scholl-Latour: Die Bundeswehr ist nicht auf Extremsituationen vorbereitet. Es ist deshalb notwendig, sie auf das Grauen des Partisanenkrieges vorzubereiten, den sie bisher nicht erlebt haben. Und ihnen strikte Disziplin einzuimpfen.

 

Prof. Dr. Peter Scholl-Latour, Journalist und Publizist, schrieb zuletzt in JF 22/06 den Beitrag "In der Kongo-Falle"

 

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