© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/06 02. Juni 2006

Christlicher Debattierclub
Neues von Chesterton
Georg Alois Oblinger

England als das Ursprungsland des Essays - das in Deutschland sowenig Tradition hat, daß es dafür noch nicht einmal einen eigenen Begriff gibt - kann mit zahlreichen Schriftstellern aufwarten, die sich als Essayisten einen Namen gemacht haben. Insbesondere der christliche Apologet Gilbert Keith Chesterton (1874-1936), der 1922 zum katholischen Glauben übertrat, beherrschte diese Gattung meisterhaft. Neben fünf Bühnenstücken, fünf Romanen, etwa 200 Kurzgeschichten und zahlreichen Gedichten schrieb er mehr als 4.000 Essays für diverse Tageszeitungen.

Typisch für Chesterton ist die unerwartete Wende, die sich in seinen Essays meist eher zufällig zu ergeben scheint. Skurril erscheinende Gedanken erweisen sich bei näherem Hinsehen als richtig - "aber nur, wenn wir ihre Gegenstände auf dem Kopf stehend betrachtet haben", wie Joachim Kalka in seinen Nachbemerkungen schreibt. Das Essay ist Chesterton gewissermaßen auf den Leib geschneidert. Denn hier wird auf ein Denken in festgelegten Systemen verzichtet. In ein solches würde sich der Querdenker Chesterton auch nie hineinzwängen lassen. Er liebt die Freiheit. So verteidigt er das, was von vielen verurteilt oder müde belächelt wird: Porzellanschäferinnen, Detektivgeschichten oder häßliche Dinge. Ferner ergründet er die Welt, indem er philosophisches Räsonieren auf originelle Art mit detektivischem Scharfsinn verbindet. Er bleibt stets der Logik verpflichtet und wagt dennoch ungewohnte Wege - wobei seine Spürnase ihn zielsicher vor Häresien, Platitüden und sonstigen Irrwegen bewahrt.

Wer Essays liest, begibt sich gewissermaßen in einen englischen Klub und läßt sich dort auf geistreiche Diskussionen ein. Wer Chesterton liest, hat sich in einem christlichen Debattierclub niedergelassen und dort einen humorvollen, gebildeten, logischen und überaus originellen Gesprächspartner gefunden. Nichts ist unterhaltsamer und in gleicher Weise geistig und geistlich bildend. Man könnte seine Zeit kaum besser verbringen. Das ist gepflegte Konversation, das ist Essayismus vom feinsten.

Gilbert Keith Chesterton: Die Wildnis des häuslichen Lebens. Berenberg Verlag, Berlin 2006, gebunden, 160 Seiten, 19 Euro


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