© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/06 02. Juni 2006

Der Triumph des Barock
Schönheit wird die Welt erretten: Eine Ausstellung in Berlin zeigt Kunst und Kultur im Rom der Päpste
Wolfgang Saur

Das 20. Jahrhundert zählt viele Verluste. Zu ihnen gehört das Verschwinden Roms aus unserem Bewußtsein. Den Status einer Touristenattraktion und als Papstsitz hat Rom behalten, eingebüßt hingegen die Aura der "Ewigen Stadt" - als symbolisches Zentrum Europas, ja der Welt. Dieser Rang kommt jetzt New York zu, das den prinzipiellen Traditionsbruch markiert und heute den Anspruch einer weltweiten Ökonomie und Massenkultur vertritt.

Die römischen Traditionen hingegen verweisen auf die Antike, die Kirche, den kontinentalen Genius: ein Mekka der Pilger seit je, dann der Humanisten und Künstler - Kernbestand europäischer Identität also, selbst noch in (protestantischer) Dissidenz.

Wenn also die Kunsthalle der BRD/Bonn, die Berliner Festspiele und die Vatikanischen Museen ein Ausstellungs-Triptychon realisieren, das zunächst die Hochrenaissance thematisierte (1999), in fünf Jahren sich Winckelmann und der Antikenrezeption zuwendet, aktuell jedoch das Barockzeitalter fokussiert, wird der EU-Prozeß einmal sinnvoll unterfüttert.

Nach achtjähriger Vorarbeit kam jetzt eine prunkvolle Schau zustande, die mit 300 exquisiten Objekten hundert Jahre (1572-1676) durch zehn Pontifikate zurücklegt und so den Wandel der Kirche, den Umbau Roms und die Entwicklung Europas in Kunst und Wissenschaft dokumentiert.

Diese Verflechtung veranschaulicht der museale Parcours strukturell, indem er zwischen Päpsten und Sachthemen alterniert. Das nicht bloß inhaltlich, vielmehr medial: Zahlreiche Originale der Kunst werden ergänzt durch Modellbauten, so der Vatikanstadt; audiovisuelle Animationen, so der Bilderfülle des Barberinipalasts; Computersimulationen, so der Baugeschichte St. Peters; oder behutsam inszenierte Ensembles, so Berninis Vier-Ströme-Brunnen. Ausgeklügelte Präsentationsregie tut ein übriges, barocken Glanz in Berlin zu vermitteln.

Kunst und Wissenschaft zum Gotteslob vereinigt

"Erlebnisdidaktisch" kommt das theatrum sacrum des 17. Jahrhunderts dem entgegen. Beides verschmilzt gar, wenn der Besucher zeremoniös sogleich vor Marattas Monumentalbild (1695) tritt: die heilige Mutter mit dem siegreichen Christusknaben. In bezwingender Nahsicht steigt das Kultbild strahlend an der Wand auf, den ganzen Saal einnehmend: pathetische Glaubensverkündung, suggestiv populär, dabei von verwegen höfischer Eleganz und raffiniertem Kunstsinn. Dieser Effekt war intendiert: Am Turm des Quirinalpalastes "funktionierte" die Ikone öffentlich als Emblem der triumphierenden Kirche. Im Gropiusbau setzt dieser Auftakt zu Beginn schon ein schillerndes Zeichen barocker Mentalität und Ästhetik.

Der Barock als integrale Stilfigur vor der Moderne meint eine kulturelle Synthese, die Kunst und Wissenschaft zum Gotteslob vereinigt und von da aus die Welt ordnet. Dieses Weltbild entspricht fürstlichem Absolutismus und der katholischen Kirche. Die päpstliche Wahlmonarchie umfaßte beide. Deshalb nahm auch die gewaltige Kunstbewegung hier ihren Ausgang. Das Thema des Barock ist die große Dimension, gewaltige Ausdehnung und souveräne Organisierung weiter Räume. Subtile Gestaltung im einzelnen wird umfangen von einer Geste, die alle Elemente einem Leitprinzip unterstellt. Solche Polarisierung verdrängt das klassische Muster der Renaissance mit harmonischen Proportionen und ruhiger Ensemblewirkung. Der neue Bewegungsstil erstrebt das rhythmische Gesamtkunstwerk. Er versetzt Massen, Glieder, ganze Räume in Schwingung, durchdringt die Einheiten, verschmilzt die Gattungen. Einzelnes wird verdoppelt, vervielfacht, rhythmisch gesteigert. Ziel ist die große Wirkung, in ihr konvergieren alle Kräfte: "Die Totalerscheinung als beabsichtigte Wirkungsform bildet den Ausgangspunkt für alle formalen Erwägungen." (Weisbach)

Wie die mittelalterliche sucht auch die Barockkunst nur, die ewigen Wahrheiten der Religion und ihrer Verheißungen darzustellen. Diesmal jedoch, nach Reformation und Kirchenspaltung, im Zeitalter der Glaubenskriege und eines kämpferischen Katholizismus. Die Konfessionen haben nun mit problematischen Individuen zu rechnen. So spricht die Kunst nicht nur vom zeitlosen Sein. Den Glauben verkündet sie jetzt donnernd, werbend, als heiliges Welttheater, das den Staunenden ergreift und in die Ferne wirkt.

Die soziale Strategie fördert Integration: die Einbeziehung von Terrain und Nachbarschaft, den Sinn für Landschaft und Architektur, für urbane Strukturen, Perspektivik und Prospektkunst. Herrliche Platzanlagen sind davon inspiriert oder die Strahlensysteme und Radialformen der Residenzen.

Zugute kam dieser Vernetzungswille der Stadtentwicklung. Genau dies belegt Rom, wo sich päpstlicher Gestaltungsdrang segensreich auswirkte. Soziale, hygienische, politisch-repräsentative, liturgische und ästhetische Aspekte wirkten zusammen. Mitgetragen war die Entwicklung vom römischen Adel und den zahlreichen Künstlern, denen die Ausstellung gleichfalls huldigt.

Der Inbegriff des Römischen in Gestalt der Peterskirche

Diese Verdichtung kardinaler Initiativen, Ideen, Werke offenbart die typischen Muster des europäischen Barock - ein Panorama, das die Ausstellung glänzend veranschaulicht; darin liegt ihr objektiver Bildungswert. Wir begegnen großen Baumeistern (Bramante, Vignola); dem jesuitischen Bautyp (Il Gesù); der neuen plastischen Auffassung (Berninis "Daphne"); frommer Dramatik (Caravaggios Lichteffekten oder dem verzückten "Reni-Blick"); malerischen Platzräumen (der Piazza Navona); gekurvten Fassaden und Kuppelformen (Borromini); Wahlrömern mit Fernwirkung (Poussin kühl und schwungvoll Rubens); neuartiger Sinnlichkeit und Drastik (Porträt und Märtyrerkult); und dem Illusionismus in der Ekstase der Himmlischen (St. Ignazios freskierte Transzendenz).

All die Prinzipien und Bestrebungen vereinigten sich im Projekt von Neu-St. Peter, dessen Grundsteinlegung am 18. April 1506 die aktuelle Barockretrospektive auch als äußerliches Festdatum motiviert hat. St. Peter wurde "so etwas wie die innere Symmetrieachse der römischen Architekturgeschichte (...), ein Bildungsfaktor allerersten Ranges (...) Denn die mächtigsten Impulse und die persönlichsten Gedanken, die in die Gestalt der Peterskirche" eingingen, haben sich "zu etwas Überpersönlichem verbunden, zum Inbegriff des Römischen". (Hubala)

160 Jahre dauerte es, bis der Kuppelbau der Renaissance, das barocke Langhaus Madernas und die legendäre Platzgestaltung Berninis vollendet waren. Damit fand auch das barocke Papsttum seinen symbolischen Abschluß. Seine polare Ordnung schloß nun Kolonnadenrund, Langhaus, Petersgrab mit Baldachin (Bernini) und die Cathedra (Bernini) mit ihrer Glorie zusammen. Dabei wurzelte man in Konstantinischen Fundamenten, den Katakomben und dem Zirkus des Caligula. Diese Verschränkung von irdischer Zeit und Heilsidee schuf so dem Glauben ein ewiges Zeichen.

Die Naturbeobachtung sah die Sterne noch theologisch

Die Ausstellung rückt dies ins Zentrum. So zieht der Petersbau als roter Faden sich durch alle Sektionen. Hauptattraktion: das Kolossalmodell der Kuppel Michelangelos von 1562 (5x4 Meter). Sie drückt das revolutionäre Potential der verjüngten Kirche aus. Daß "kreative Zerstörung" sich mit neuer Pietät verband, zeigt indes das Schicksal der Antiken, die der Boden ans Licht brachte. So die berühmte Laokoon-Gruppe, deren Auffindung 1506 zur Gründung der Vatikanischen Sammlungen führte - ein zweites Festdatum für 2006.

Wissenschaftspflege betrieben die Orden, zumal die Jesuiten, deren Verdienste die Ausstellung umsichtig würdigt. Meßinstrumente, Karten, Pläne, Globen begleiten die neue Naturbeobachtung, die sich auch "in die Ferne" richtete, doch die Sterne noch theologisch sah. Athanasius Kircher, der deutsche Jesuit, lehrte, der Weltraum sei durch Gottes Kraft magnetisch in ewiger Harmonie gehalten.

So konnte das Weltbild den Augenblick gelassen als bloßen Ausschnitt verstehen. Dahinter lag die große Einheit, deren Teil auch der Betrachter war. Daher das "Unklassische" des Barock, die "offene Struktur" seiner Kunst. Weit gefehlt, moderne Formauflösung hier zu vermuten. "Offenheit" verstand sich "vertikal". Sie war die "transzendentale Methode", das Übernatürliche anzupeilen. Darin besteht der universelle Kern des Barock. Als historische Stilform vergänglich, bleibt doch sein Tiefenimpuls lebendig. Der hat sich in großen Kunstformen Asiens ebenso bezeugt: Japanische Landschaften, die Arabeske, Moscheebau und byzantinische Ikonen weisen alle in eine vierte Dimension. Spiegel des Imaginären und heilige Medien geben den Vorgeschmack des radikal Anderen: als Schönheit. Die Schönheit freilich, so heißt es im Vatikan, "wird die Welt erretten".

Bild: Peter Paul Rubens, "Die Heiligen Gregor, Domitilla, Maurus und Papianus" (1606/08): Ewige Wahrheiten der Religion

Bild: Gianlorenzo Bernini, Terracotta-Modellino für die Ekstase der hl. Theresa von Avila (um 1648)

Die Ausstellung "Barock im Vatikan" im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, ist bis zum 10. Juli täglich von 10 bis 20 Uhr, Do./Fr./Sa. bis 21 Uhr zu sehen, Tel.: 030 / 254 86-0. Der Katalog kostet in der Ausstellung 35 Euro.


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