© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/06 26. Mai 2006

Taktischer Sieg und strategische Niederlage
Die Seeschlacht am Skagerrak vor neunzig Jahren führte endgültig zur Strategieänderung / Unheilvolle Eskalation des U-Boot-Krieges
Matthias Bäkermann

Unsere Hochseeflotte ist bei einer nach Norden gerichteten Unternehmung am 31. Mai auf den uns erheblich überlegenen Hauptteil der englischen Kampfflotte gestoßen. Es entwickelte sich am Nachmittag zwischen Skagerrak und Horns Riff eine Reihe schwerer, für uns erfolgreicher Kämpfe, die auch während der ganzen Nacht andauerten. (...) Die Hochseeflotte ist im Laufe des heutigen Tages in unsere Häfen eingelaufen." Mit diesen Worten faßt der amtliche Bericht der kaiserlichen Marine von 1916 das Seegefecht Ende Mai, Anfang Juni mit großen Teilen der britischen "Grand Fleet" zusammen.

Auf dem Papier ließ sich das erste und letzte große Gefecht der modernen und kostspieligen deutschen Flotte als taktischer Sieg verbuchen - zwischen Memel und Metz wurden zumindest aus Dank die Kirchenglocken geläutet. So hatte man mit 2.251 Toten, darunter dem auf der versenkten SMS Wiesbaden dienenden Schriftsteller Johann Kinau ("Gorch Fock"), und 61.180 Tonnen versenkten Schiffraums etwa die Hälfte der Verluste der Royal Navy (6.094 Tote, 115.025 BRT). In England war man ob des Ergebnisses zugleich unzufrieden und warf den kommandierenden Admiralen, sowohl Flottenchef John Jellicoe wie auch dem Geschwaderchef der Schlachtkreuzerflotte, David Beatty, Versagen vor, mit ihrer im Verhältnis 8:5 überlegenen Flotte kein "zweites Trafalgar" erreicht zu haben und obendrein die deutsche Flotte nahezu ungeschwächt in die Deutsche Bucht entkommen zu lassen.

Der deutsche Kommandierende, Vizeadmiral Reinhard Scheer, erkannte bereits unmittelbar nach der Schlacht in seinem Immediatsbericht die strategische Niederlage an, denn nun glaubte er an nicht mehr daran, daß die "Nachteile unserer militärgeographischen Lage keine strategische Wende" im direkten Seekrieg gegen England erfahren sollte. Dabei endete die Schlacht am Skagerrak sogar noch glückhaft, da Scheer mit der Operation ursprünglich nur eine Gruppe der Grand Fleet an der südnorwegischen Küste stellen wollen, da er sich der eigenen Unterlegenheit für eine Entscheidungsschlacht mit der "Grand Fleet" immer bewußt war. Um so überraschender dürfte das Resultat gewesen sein, gegen die Übermacht - durch technischen Vorsprung der deutschen Schiffe, wie sich später erwies - bestanden zu haben. Der Marinehistoriker Werner Rahn wertete diese naive Sicht Scheers, der auf eine Aufsplitterung der nur in der Kräftekonzentration wirkungsvollen Hochseeflotte der Briten spekulierte, als Beleg dafür, "daß die grundlegenden strategischen Fragen der Seekriegsführung gegen Großbritannien nie überzeugend gelöst worden sind".

In der Tat schätzte selbst der Vorgänger Scheers und eigentliche Schöpfer der deutschen Hochseeflotte, Alfred von Tirpitz, unterstützt vom Kaiser die Rolle der Marine in der operativen Kriegführung nur sekundär ein. In Einklang mit dem Großen Hauptquartier kalkulierte man eine schnelle Entscheidung zu Lande gegen Frankreich, in dessen Folge England "einlenken" oder seine Flotte in die Entscheidungsschlacht zwischen Helgoland und der Themse schicken würde, wobei man - gestützt auf maritime Kleinkampfmittel wie Mine und Unterseeboot - sich mindestens ebenbürtig einschätzte. Wie der Historiker Rolf Güth resümierte, war das Hauptmotiv "der Wunsch, nach dem zu Lande gewonnenen Krieg die intakt gebliebene Flotte weltpolitisch einsetzen zu können". Infolgedessen entwickelte der Admiralstab auch keine ernstzunehmenden Alternativpläne, etwa gegen eine langwierige Seeblockade oder für eine entscheidende Störung der kriegswichtigen alliierten Routen im Ärmelkanal.

Immer wieder die Hoffnung auf ein "Einlenken" Englands

Obwohl bereits 1912 der damalige Chef des Admiralstabes, Vizeadmiral August von Heerigen, ahnte, daß die Briten die Strategie einer für sie risikolosen Fernblockade verfolgen würden, reagierte man nur halbherzig. "Wenn der Engländer sich wirklich auf die Fernblockade mit konsequenter Zurückhaltung seiner Schlachtflotte verlegt, kann die Rolle unserer schönen Hochseeflotte im Kriege eine sehr traurige werden. Dann werden die U-Boote es schaffen müssen." Spätestens 1915 war die "traurige Rolle" der Flotte offenbar und führte zu einer Denkschrift, die der Hochseeflotte die Rolle einer "Fleet-in-being" zuschrieb, die allein die eigenen Küsten, die kriegswichtige Route in der Ostsee nach Schweden und die Auslaufwege der U-Boote schützt. Obwohl Tirpitz diese Defensivstrategie als "Gift für die Flotte" bezeichnete, mußte er ihr doch folgen.

Allerdings führte auch sein 1915 entwickeltes (Not)-Konzept nicht zum Erfolg. Die U-Boote "schafften es" eben nicht, die feindliche Seemacht zu schädigen. So wurde der Krieg zunehmend von den Seestreikräften auf die Seetransportmittel umgelenkt. 1915 wurde der Raum um die britischen Inseln zum Kriegsgebiet erklärt, in dem alle Schiffe der Gefahr warnungsloser Versenkung ausgesetzt waren. Da die U-Bootwaffe in diesem "System der Halbheiten" (laut William Michaelis, Chef des Stabes der Hochseeflotte) allerdings wegen zu geringer Kräfte wirkungslos blieb und sich obendrein die Kriegsgefahr mit den USA erhöhte, wurde diese Strategie schon im Herbst 1915 aufgegeben und Tirpitz schließlich im März 1916 entlassen.

Erst ein Umdenken in der deutschen Heeresleitung führte im Sommer 1916 wieder auf den Pfad dieser Strategie zurück. Hatten Reichskanzler Theodor von Bethmann-Hollweg und Generalstabschef Erich von Falkenhayn noch gehofft, mit einer geballten Abnutzungsoffensive (Verdun) den Krieg bis zum Sommer zu entscheiden, forderten die neuen starken Männer in der Heeresleitung, Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff, nach der Erstarrung der Westfront im August 1916 den uneingeschränkten U-Bootkrieg als "letztes Mittel". Mit der Erfahrung des im Kontext des strategischen Konzeptes "glimpflich ausgegangenen Betriebsunfalls" der Skagerrakschlacht gab die Seekriegsleitung um Scheer nun alle Einwände auf bzw. befürwortete die Forderungen Hindenburgs.

Dabei stützte sie sich auf das sehr optimistische Gutachten des "Instituts für Weltwirtschaft und Seeverkehr" in Kiel, das prophezeite, England würde einen Einbruch des Seeverkehr um vierzig Prozent über fünf Monate "nicht ertragen" und deshalb "einlenken". Deshalb könne man auch auf den diplomatisch gegenüber den USA noch vermittelbaren, aber weniger effektiven U-Bott-Krieg "nach Prisenordnung" verzichten, da Washington für eventuelle Unterstützung Großbritanniens mindestens ebendiese fünf Monate benötigen würde. Darauf plante Admiralstabschef Henning von Holzendorff den "uneingeschränkten" U-Boot-Krieg, der vor dem Hauptausschuß des Reichstags vom Staatssekretär des Marineamtes, Admiral Eduard von Capelle, gegen alle Bedenken verteidigt wurde. Selbst die Konsequenz eines sehr wahrscheinlichen Kriegseintrittes der USA, so argumentierte Capelle, hätte eine militärische Bedeutung "gleich null", da man mangels Schiffsraums keine US-Truppen nach Frankreich bringen könne.

Am 1. Februar 1917 wurde seitens der Reichsführung der "uneingeschränkte U-Boot-Krieg" erklärt. Bereits am 3. Februar wurde das US-Schiff "Housatonic" ohne Vorwarnung versenkt, worauf Präsident Woodrow Wilson die diplomatischen Beziehungen zum Reich abbrach. Die dann beginnende Phase der "bewaffneten Neutralität" führte schließlich zur Kriegserklärung der USA an das Deutsche Reich am 2. April 1917.

Carl Wilhelm Christian Malchin, Gemälde nach 1918, "Die Schlacht vor dem Skagerrak am 31. Mai 1916. 8 Uhr 15 abends, Signal 'Ran an den Feind'": "Dann werden die U-Boote es schaffen müssen"


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