© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/06 26. Mai 2006

Revue aus der Bananenkiste
Deutsche Erstaufführung: "Les Nègres" in Freiburg
Andreas Strittmatter

Die heilige Messe gilt als ein Ritual, das den Kreuzestod Jesu im Hier und Heute vergegenwärtigen soll. Diesen Gedanken griff Jean Genet in der ihm eigenen Weise nachahmender Perversion auf und konzipierte das Schauspiel "Les Nègres", eine schwer durchschaubare, auf Provokation angelegte und mit Blasphemie angereicherte "Clownerie", in deren Zentrum "die Neger" einen vermeintlichen Mord an einer weißen Frau als Ritual auf der Bühne vor einem weißen Publikum vollziehen, auf daß sich Vorurteile vergegenwärtigen mögen.

Gemünzt war das 1957 uraufgeführte Stück auf eine zu demaskierende kolonialistische Einstellung des französischen Bürgertums. Fasziniert von der explosiv-rhythmischen Sprache des Autors, bog der französische Komponist Michaël Levinas das Drama zu einer gleichnamigen Oper zurecht, die 2004 in Lyon aus der Taufe gehoben und nun vom Theater Freiburg in deutscher Erstaufführung gezeigt wurde, von Regisseur Nicholas Broadhurst szenisch zu einem Stück über Ausgrenzung weiterentwickelt.

Zu den Hauptglaubenssätzen der europäischen Utopie gehört für Broadhurst nämlich "die Idee von denen, die aufgenommen und denen, die ausgeschlossen werden". Angelegentlich wäre es interessant zu wissen, was man in Freiburg unter Identität versteht, die als sinnstiftende Vergewisserung der jeweils eigenen Kultur nicht nur in Europa mit dem Mechanismus einer notwendigen Abgrenzung arbeitet und Anpassung fordert. Die Antwort dürfte sich in die Utopie einer multikulturellen Gesellschaft verflüchtigen.

Soviel Überbau bekommt dem reichlich wirren Stück ohnehin nicht, dessen auf Opernformat zusammengestrichener Text mit mehreren Handlungsebenen keineswegs den Durchblick erleichtert. So hinterließ die Botschaft des Abends weit weniger Spuren als die bunt-bedeutungsschwangere Bananenkisten-Bühne mit Mohrenkopf- und Afri-Cola-Reminiszenz samt buntem Fummel von Okarina Peter und Timo Dentler.

In diesem Ambiente spielte sich eine (für zeitgenössisches Musiktheater auffallend ohrengefällige) elektronisch fundierte Musikrevue im Brecht-Weillschen Stil mit lustiger Opernpersiflage, mikrophonverstärkten Sängern und Anleihen aus der seriellen Ecke ab, der offenbar ebensowenig daran gelegen war, tatsächlich vorhandene rassistische Tendenzen in der Gesellschaft detailliert zu hinterfragen, wie sich mit dem Gedanken zu konfrontieren, daß viele "Ausgegrenzte" eigentlich gar keine Lust darauf haben, sich vom Abendland "eingrenzen" zu lassen. Anstoßerregend war der Abend jedenfalls nicht - dafür war der Beifall zu gesättigt.

Die nächsten Aufführungen im Theater Freiburg finden statt am 6., 7., 11., 21. und 22. Juni, jeweils um 19.30 Uhr. Karten: 07 61 / 2 01 28 53


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