© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/06 26. Mai 2006

Hippieromantik
Kino: "Gernstls Reisen - Auf der Suche nach dem Glück"
Martin Lichtmes

Das Glück in Deutschland? Zuletzt hat sich Konstantin Faigle in seiner Doku "Die große Depression" (JF 37/05) auf die Suche danach gemacht und dabei hoffnungslos in die Sackgasse der Gemeinplätze verirrt. Statt Menschen aus Fleisch und Blut gab es bloß Meinungsäußerungen und eine mißglückte Selbstinszenierung als schwäbischer Woody Allen. Vielleicht hat er ja auch sein Blickfeld überdehnt: Zwar nicht von der Maas bis an die Memel, aber vom Schwarzwald bis zur Nordsee ging Faigles Reise durch deutsche Wirklichkeiten.

Womöglich wäre Faigle fündiger geworden, hätte er sich mehr südlich gehalten und auf "Alpendeutschland" konzentriert, wie es der bayerische Filmemacher und Produzent Franz Xaver Gernstl in seinem neuen Film "Gernstls Reisen - Auf der Suche nach dem Glück" getan hat. Auch dieser Streifen ist ein dokumentarischer Road Movie. Er besteht aus einem "Best of"-Zusammenschnitt einer 1983 gestarteten Reportageserie des Bayerischen Rundfunks, die so etwas wie ein kleinerer Klassiker der Fernsehgeschichte geworden ist.

Gernstl und seine beiden Mitarbeiter, Kameramann Hans Peter Fischer und Tontechniker Stefan Ravasz, durchquerten mit einem VW-Bus Deutschland, Österreich, Südtirol und die Schweiz auf der Suche nach Menschen mit zumeist alternativen Lebensentwürfen und haben dabei einiges an skurrilem, komischem oder tragikomischem Material zutage gefördert. Der Mann mit den landestypischen Vornamen bestätigt, was Armin Mohler einst über "die Gnade, ein Baier (mit i!) zu sein" schrieb: Für den Baiern sei es "selbstverständliche Voraussetzung", "daß die Welt nicht aufgeht, daß wir immer nur ein Stückwerk in den Händen halten". Und: "Vielleicht ist es gerade das, was den eigentlichen Charme des bajuwarischen Lebensstils ausmacht: jeder hat seine Rolle, jeder spielt sie gern, aber keiner mit tierischem Ernst."

Davon ist das "Prinzip Gernstl" nicht weit entfernt, und so begleitet der Zuschauer den gemütlichen Bayern auf eine apperzeptionswillige Entdeckungsreise ins Wunderland der Originale mit deutlicher Präferenz des alpinen Raums. Von einem deutschen Ableger der Bhaghwan-Sekte, der das Team einen unwilligen kleinen Jungen entführt, einer Aussteiger-Familie, die Schafskäse herstellt, dem "Jesus von Villach", dem Betreiber eines chaotischen Tier-asyls bis zu den stolzen Schöpfern sympathisch nutzloser Monumente wie eines Steinturms im Garten oder einer gewaltigen Kugel, die "das 'Ganze' symbolisiert", reicht der bunte Reigen.

Ein Hauch von Hippieromantik durchzieht den Film, Bayern mischt sich mit Kalifornien: Auf den früheren Sozialpädagogikstudenten Gernstl, zu dessen Jugendidolen der US-Aktivist Jerry Rubin zählte, hat das Wassermannzeitalter deutlich eingewirkt. Er liebt die friedfertigen Spinner, die "philosophierenden" Feld-, Wald- und Wiesenmystiker, die sanfte Anarchie, die bäuerlich-pragmatischen Lebensweisheiten. Es ist offensichtlich, daß Gernstl während der Jagd auf schräge Vögel die Fernsehtauglichkeit nie aus dem Auge verloren hat.

Diese Fixierung auf die mitunter doch etwas banalen Sonderlinge kann einem ein wenig auf die Nerven gehen wie auch Gernstls manchmal in die professionelle Pose driftende Rolle des absichtslosen Zuhörers. Dennoch ist "Gernstls Reisen" ein unterhaltsamer, kurzweiliger Film geworden. Das Glück war in stupender Weise immer wieder auf der Seite des Teams. So gelangen spontane Aufnahmen, die eine ungeheure Komik entfalten. Nebenbei wird allein anhand des Wechsels der Frisuren und der Kleidung eine kleine Sittengeschichte der Bundesrepublik sichtbar. Auch die "große" Geschichte ist manchmal präsent: So hat Gernstl in Berlin-Kreuzberg einen Straßen-Nostradamus vor die Kamera bekommen, der fast zwei Jahre im voraus den Fall der Mauer detailliert prophezeit.

Mit Verweis auf die "Du bist Deutschland"-Kampagne schrieb ein Rezensent im Internet: "Aber wo dieser eklige Versuch, ein positives Nationalgefühl zu erzeugen, nur dazu führt, daß die Bürger 'im Sinne Deutschlands' die Köpfe einziehen und alles schweigend ertragen, ist 'Gernstls Reisen' eine ungemein charmante, sehr unterhaltsame, aber vor allem auch glaubwürdige Liebeserklärung an unser Land und seine unterschiedlichsten Bewohner."

Das hat freilich eine Pointe für alle pessimistischen Beobachter der demographischen Entwicklung: Kaum einer von Gernstls Käuzen ist unter vierzig, die meisten deutlich darüber. Junge Menschen kommen selten und nur am Rande vor. Vielleicht ist das kein Zufall.

Der Film endet leider mit einer sentimentalen, schuhausziehenden Sequenz, in der Gernstl die Protagonisten noch einmal in Zeitlupenapotheose Revue passieren läßt, untermalt vom Gesang einer enervierend prätentiösen Gospelsängerin: "What a wonderful world". Am Ende sind wir wohl doch alle Amerikaner, und spätestens hier erscheint Gernstls wohlstandsdurchtränkte, problemlose Selbstzufriedenheit im Stil der 1980er Jahre hoffnungslos anachronistisch.


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