© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/06 26. Mai 2006

Kein Wille zur Entfesselung des Bürgers
Bürokratie-Abbau: Neues Gesetz mit dürftigem Inhalt / Das deutsche Regelungsdickicht bleibt ungelichtet
Klaus Peter Krause

Daß bürokratisches Gestrüpp zurückgeschnitten werden soll, haben Politiker seit Jahrzehnten versprochen - die Bundesvereinfachungskommission von 1983 sollte ein erster Anfang sein. Zuletzt war es die rot-grüne Vorgängerkoalition, die 2004 eine Entbürokratisierung und Deregulierung mit 34 Vorschlägen ("Clement-Liste") verkündet hat - das meiste davon ist aber schon in den Ansätzen steckengeblieben.

Nun wagt die schwarz-rote Koalition einen neuen Versuch. Der Entwurf nennt sich "Erstes Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft". Gleichzeitig eingebracht wurde ein Gesetz, das einen Normenkontrollrat installiert. Schon das ist neue Bürokratie. Wohlklingende Worte haben beide Gesetze auf ihren Weg in die Ausschüsse begleitet.

Der Inhalt des ersten ist dürftig. Es begrenzt den Abbau von Bürokratie überwiegend auf ein Klein-Klein von Datenaufzeichnungspflichten, die der Staat den Unternehmen samt den damit verbundenen Kosten (als verkappte fiskalische Zusatzbelastung) abnötigt. Weit wichtigere Abschaffungen oder Erleichterungen sollen zunächst nur "geprüft" werden. In Wirklichkeit drücken die Bürokratieschuhe woanders, dort wo staatliche Regelungen die persönlichen und unternehmerischen Freiheiten einschränken und das Subsidiaritätsprinzip mißachten.

Dieses Regelungsdickicht drückt vor allem auf dem Arbeitsmarkt, im Gesundheitswesen, in den Sozialversicherungen, in der Besteuerung, in der Familienpolitik, im Umweltschutz, in der EU und in der als "Förderung" bezeichneten Subventionspolitik. "Ich brauche keine Zuschüsse, ich brauche Freiheiten. Laßt uns unsere Arbeit in Ruhe machen, mehr wollen wir gar nicht," klagte daher nicht nur der Vorstandschef des SAP-Konzerns, Henning Kagermann. Auch zur Unternehmensabwanderung ins Ausland trägt diese Bürokratie bei.

Doch die Große Koalition legt einen Gesetzentwurf zum Bürokratieabbau vor, der weit hinter dem zurückbleibt, was der vorherige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) 2004 vorgeschlagen hatte. Statt dessen werden weitere Gesetze in Angriff genommen, aber jedes Gesetz bringt neue Bürokratie. Sind neue Gesetze wirklich notwendig, dann müssen sie befristet sein - und ersatzlos auslaufen, falls sie nicht erneuert werden und dies abermals diskutiert und begründet worden ist.

Ein Paradebeispiel ist die geplante "Reichensteuer". Dabei werden diese "Reichen" durch den Progressionstarif der Einkommensteuer schon jetzt mit dem höchsten Steuersatz belastet. Auf diesen Höchstsatz soll nun noch ein Zuschlag erhoben werden. Zugleich allerdings sind wieder Ausnahmen vorgesehen - für sämtliche Gewinneinkünfte und für Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit. Das geschieht zwar zu Recht, aber nur aus blanker Sorge vor Verfassungsklagen. Doch damit ist der Kreis der "Reichen" so eng gezogen, daß nennenswerte Zusatzeinnahmen nicht anfallen. Zugleich jedoch nimmt die Große Koalition den "kleinen" Steuerzahlern in der Summe von 2007 an ein Sechzehnfaches von dem ab, was sie insgesamt den "Reichen" abknöpft. Sie versagt den meisten die Absetzbarkeit des häuslichen Arbeitszimmers, streicht die Pendlerpauschale, halbiert den Sparerfreibetrag, zahlt Kindergeld nur noch 25 statt 27 Jahre. Das summiert sich 2007 auf rund zwei Milliarden Euro. Aus der "Neidsteuer" fließen dagegen nur 127 Millionen Euro.

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt versucht, alle Bürger in die Gesetzliche Krankenversicherung zu zwingen, was sie mit ihrer SPD als "Bürgerversicherung" anpreist. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat das überflüssige rot-grüne Antidiskriminierungsgesetz in "Gleichstellungsgesetz" umgetauft. Die Koalition untergräbt damit - trotz anderslautender Unionsversprechen im Wahlkampf - die Vertragsfreiheit. Es wird die Gerichte mit noch mehr Verfahren überfluten. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) schwafelt gegen die Kernenergie und stützt gleichzeitig den teuren Subventionszauber für Sonnen- und Windenergie. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) schafft mit dem neuen Elterngeld Ehen zweiter Klasse und läßt Familienpolitik zu einem Stück Arbeitsmarktpolitik verkommen (JF 20/06). Die Liste ließe sich fortsetzen - den dringenden Bürokratieabbau wird wohl auch die Große Koalition nicht schaffen. Es ist deprimierend.


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