© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/06 26. Mai 2006

"Die jüdische Identität sichern"
Israel: Das Oberste Gericht hat eine Verschärfung des Staatsbürgerschaftsgesetzes gebilligt / Kritik im In- und Ausland
Ivan Denes

Das Oberste Gericht von Israel genießt eine unangefochtene moralische Autorität: es hat seine Unabhängigkeit in zahlreichen Fällen unter Beweis gestellt, in denen es der Exekutive in den Arm gefallen war. Nun hat aber die höchste juristische Instanz des Landes mit einem sehr knappen Urteilsspruch - sechs gegen fünf Stimmen - einen bislang kaum gekannten Sturm der Entrüstung ausgelöst. Es hat gebündelte acht Klagen gegen die Vorkehrungen eines Gesetzes aus dem Jahr 2002 abgelehnt (JF 21/06).

Der ursprüngliche Zusatz zum israelischen Staatsbürgerschafts- und Aufenthaltsregelungsgesetz aus dem Jahr 1952 wurde auf dem Höhepunkt der im Jahre 2000 begonnenen gewalttätigen palästinensischen "Al-Aqsa-Intifada" - bei der insgesamt weit über 1.000 Israelis getötet und mehr als 7.000 verletzt wurden - neu formuliert. Der Zuzug von Palästinensern aus den besetzten Gebieten, die Araber mit israelischem Paß heiraten, wurde damit verboten. 2003 wurde das Gesetz wieder etwas gelockert, indem der Zuzug und die Niederlassung für palästinensische Frauen im Alter von über 25 Jahren und Männern von über 35 Jahren in Israel wieder zugelassen wurde. Denn die Terroristen rekrutierten sich gewöhnlich aus jüngeren Altersgruppen. "Es ist nichts Übles in dem Versuch, Israels jüdische Identität anhand eines Gesetzes zu sichern", erklärte die damalige Likud-Justizministerin (und heutige Kadima-Außenministerin) Tzipi Livni.

Das umstrittene Gesetz wurde ursprünglich nach einem - von insgesamt 138 - "Al-Aqsa-Intifada"-Selbstmordanschlag in Haifa verabschiedet, der von einem in Israel lebenden "zugeheirateten" Araber verübt wurde. Die israelischen Sicherheitsbehörden sollen seitdem mehr als 15 versuchte Anschläge vereitelt haben, in die israelische Araber verwickelt waren.

16.000 Anträge auf Familienzusammenführung

In der Begründung ihres ablehnenden Urteils stellen die sechs Richter nun fest: Das Gesetz verletze keine Grundrechte. Sollte es aber doch solche Rechte verletzen, so gelte die Verhältnismäßigkeit: die nationale Sicherheit des Landes überlagere die Grundrechte. Ein zweiter inoffizieller Beweggrund der sechs Richter geht hingegen nicht aus der schriftlichen Urteilsbegründung hervor: Laut Presseberichten ist das Gefälle zwischen dem Lebensstandard der israelischen Araber und der palästinensischen Bevölkerung in Gaza und im Westjordanland inzwischen so groß, daß eine Wirtschaftseinwanderungswelle durch massenhafte Schein-ehen zu befürchten sei.

Im Entrüstungssturm, der von dem Urteilsspruch ausgelöst wurde, prallen Ansichten aufeinander, die in sich unversöhnlich sind. In vielen Zeitungsartikeln aus aller Welt, aber auch in einer Flut von Leserbriefen - meist verfaßt von amerikanischen Juden -, wird der Richterspruch als "rassistisch" und "diskrimierend" verurteilt. Der Protest wird unter anderem damit begründet, daß einem palästinensischen Araber (oder einer Araberin) die Familienzusammenführung verboten wird, nicht aber den jüdischen Siedlern aus den besetzten Gebieten. In den letzten Jahren sollen insgesamt 16.000 Anträge von Palästinensern auf Familienzusammenführung bzw. auf Niederlassung in Israel eingegangen sein. Über den Sicherheitsvorbehalt hinaus gibt es aber ein Grundsatzargument, das in den verschiedenen Stellungnahmen immer wieder auftaucht: Israel wurde 1948 als jüdischer Staat gegründet - und jüdisch soll er auch bleiben. Aber es gibt diesbezüglich eine gefährliche demographische Entwicklung: die Geburtenrate bei den israelischen Arabern, die zur Zeit etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, ist wesentlich höher als bei den Juden.

Die vor 110 Jahren verfaßte Utopie von Theodor Herzl ("Der Judenstaat") war eine rein jüdische und keine "Multikultiutopie". Befürworter des umstrittenen Richterspruchs sehen darum darin im Grunde eine "juristische Fortsetzung" jener Trennungsmauer, die der israelische Staat derzeit zu den besetzten Gebieten aufbaut, um den Terror, den Schmuggel - aber auch die Infiltration von Wirtschaftsimmigranten - zu verhindern. Wollen getrennte Ehepartner zusammenleben, so hindere niemand den Araber oder die Araberin aus Israel daran, in die besetzten Gebiete zu ziehen, wird daher argumentiert.

Bemerkenswert ist, daß der neue Justizminister in der Regierung von Ehud Olmert, Chaim Ramon, die Absicht angekündigt hat, innerhalb eines halben Jahres durch ein neues Gesetz die gegenwärtig so heftig umstrittene Situation endgültig zu klären. Er legte jedoch schon jetzt das Prinzip fest, auf dem sein neues Gesetz gründen soll: "Ein souveräner Staat ist berechtigt zu verhindern, daß Angehörige eines feindlichen Staates einen endgültigen Status auf seinem Gebiet erlangen."


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