© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/06 19. Mai 2006

Trotzkisten und Trotzköpfe
Parteien: Ideologische Auseinandersetzung innerhalb der WASG verdeutlicht Krise der Linken / Landesvorstände in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern abgesetzt
Werner Olles

Die Geburtswehen der neuen "Linkspartei" - die doch nichts anderes sein wird als die alte SED/PDS, die nur nicht mit Anstand abtreten konnte - lassen dunkel erahnen, in welchem Zustand sich die radikale Linke befindet. Jenseits der Gysis und Lafontaines, die immerhin noch für einen gewissen Unterhaltungswert bürgen, tut sich ein Nichts auf, das auch dadurch nicht attraktiver wird, daß nun ein paar Berliner Trotzkisten und Mecklenburger Trotzköpfe die Mumie des guten alten Arbeiterbewegungs-Marxismus reanimieren.

Der überwinterte bislang bei der kleinen und gar nicht feinen DKP und der "Kommunistischen Plattform" des Rosa-Luxemburg-Klons Sahra Wagenknecht. Daß er sein Haupt innerhalb der reformistischen Wahlalternative für soziale Gerechtigkeit (WASG) erhebt, speziell in ihren Landesverbänden Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, deren Vorstände am Wochenende im Streit um einen Antritt der WASG in Konkurrenz zur Linkspartei.PDS bei den Landtagswahlen ihres Amtes enthoben worden sind, ist jedoch alles andere als Zufall. Denn just in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern regiert die Linkspartei/PDS, die die Blutzufuhr durch die WASG dringend benötigt, gemeinsam mit der SPD und ist daher auch mitverantwortlich für neoliberale Politik und Sozialabbau.

So sehen es jedenfalls die WASG-Abweichler. Was aber wollen die Rebellen? Diese Frage beschäftigt die deutsche Linke seit Monaten. Allerdings ist ihr bisher noch keine Antwort eingefallen. Was die Mehrheit der WASG um Oskar Lafontaine und Klaus Ernst will, ist dagegen klar: Mit der PDS zur "Linkspartei" fusionieren und baldmöglichst mit der SPD zumindest auf Länderebene regieren. Dann würde sich endlich der ewige Traum des Keynesianers Lafontaine erfüllen: staatliche Beschäftigungsprogramme, Mindestlöhne und "reale" Reformen, um die sozialen Verelendungsprozesse zu stoppen und den neoliberalen Kapitalismus zu zähmen.

Rebellen verstehen sich als Systemopposition

Solche reformistischen Illusionen überzeugen jedoch gestandene Marxisten nicht, und auch für die am Wochenende vom Bundesvorstand der Partei abgesetzte Berliner WASG-Trotzkisten um Lucy Redler sind derlei Utopien aus der Stamokap-Mottenkiste der reine Horror. In ihren Augen bezeichnet dieser Reformismus jene Form von Selbstverdummung, die für die Kompatibilität des eigenen Geschwätzes mit dem der offiziellen Politik sorgt.

Während also die WASG-Reformisten glauben, daß einem im Gefolge der neoliberalen Revolution triumphierenden Sozialdarwinismus mittels einer Gemengelage aus staatsfrommen und sozialromantischen Motiven die schärfsten Zähne gezogen werden können, verstehen sich die Rebellen eher als Neuformierung von Systemopposition mit historischen Qualitäten.

Den Vertretern der Mehrheit ohnehin nicht gewachsen, kann jedoch die von der Haltlosigkeit "gemäßigter" Kapitalismuskritik überzeugte und mit einem radikal antikapitalistischen Selbstverständnis ausgestattete Minderheit in der Reform/Revolution-Debatte kaum punkten. Wieder einmal bewahrheitet sich das Marxsche Diktum, daß es nicht reicht, wenn der kritische Gedanke zur Wirklichkeit drängt, es muß auch die Wirklichkeit zum Gedanken drängen.

Tatsächlich sind die WASG-Abweichler im Grunde nur eine postmodern-trotzkistisch veredelte Neuversion des Traditionsmarxismus der siebziger Jahre. Darüber kann auch der eklektische Umgang mit Theorie nicht hinwegtäuschen, und so ist die Gruppe auch theoretisch sehr viel altbackener, als sie es zu sein vorgibt. Zu einer radikalen Gesellschaftskritik dringt sie nicht ansatzweise vor, und eine Krisenanalyse sucht man vergeblich. Genau wie im traditionellen Marxismus wird die materielle Arbeit zum Fetisch stilisiert. Das erinnert fatal an gewisse Parolen der PDS im vergangenen Bundestagswahlkampf, als die sich nicht entblödete, "Mehr bezahlte Lohnarbeit" zu fordern. Marx, könnte er diese dumpfen Sprüche seiner nichtswürdigen Epigonen hören, würde sich wohl im Grabe umdrehen, lautete doch eine seiner wichtigsten Forderungen: "Nieder mit der Lohnarbeit!"

Indes ist das Aufbegehren gegen einen entfesselten globalen Kapitalismus, für den Staaten nur noch Supermärkte sind, wo er seine Waren absetzen kann, nicht deshalb zu kritisieren, weil es sich mit "reformistischen" Rezepten zufrieden gibt, sondern weil es sich auf pure Phantastereien kapriziert.

Reformprojekte sind zum Scheitern verurteilt

In der Rekonstruktionsperiode der Marktwirtschaft konnte eine Reformpolitik noch für bessere Lebensverhältnisse sorgen. In der totalen Warengesellschaft, in der der globale Kapitalismus über die Nationalstaaten hinwegfegt und sein irdisches Paradies auf die einzige Art verwirklicht, die ihm gemäß ist, nämlich in "chinesischen" Zuständen, das heißt in einem Wachstum ohne Demokratie und Sozialstaat, sind reformistische Projekte von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Weil es in dieser Warengesellschaft letztlich weder Bürger noch Arbeiter gibt, sondern nur noch Konsumenten und Verbraucher, taugen die alten politischen Formen nicht mehr zur Organisierung auch nur der bescheidensten systemoppositionellen Bestrebungen.

Der staatliche Souverän hat seine Rolle als Träger und Gestalter positiver Entwicklungen längst ausgespielt. Wer immer noch auf ihn baut, wie die Reformer, funktioniert in der Tat nur noch im Sinne repressiver Krisenverwaltung wie die SPD/PDS-Koalitionen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Marxens These, das Kapital sei kein Ding, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis, haben jedoch auch die Rebellen der WASG nicht verstanden. Zwar haben sie instinktiv die Krise von Demokratie und Parlamentarismus, Sozial- und Rechtsstaat erkannt, andererseits ist ihre verkürzte Beurteilung der modernen Waren- und Arbeitsgesellschaft folgenschwer.

In einer Welt, in der die Mythen von Wachstum, Fortschritt und sozialer Harmonie reihenweise zusammenbrechen, können große Würfe nur mißlingen, aber kleine Schritte bringen ebensowenig. Zudem hatte die Linke zeitlebens die Funktion einer Avantgarde des Kapitalismus inne und war als Wegbereiter neuer Entwicklungsschübe historisch wirksam. Von der alten Arbeiterbewegung über die 68er-Kulturrevolution bis zur Globalisierung hat sie letztlich dem zum Durchbruch verholfen, was den Erfordernissen kapitalistischer Modernisierung entsprach.


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