© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/06 19. Mai 2006

Bilanz eines Machtwechsels
Nordrhein-Westfalen: Vor einem Jahr fiel die SPD-Hochburg an Rhein und Ruhr / Schlechte Noten bei klassischen Unionsthemen
Peter Freitag

Am 22. Mai 2005 konnte ein strahlender Jürgen Rüttgers im Düsseldorfer Landtag einen historischen Wahlsieg seiner CDU feiern, bis ihm der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Show stahl und den vorzeitigen Abtritt seiner Regierung samt Neuwahlen verkündete. Damit hatte die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen eine so nicht zu erwartende bundespolitische Bedeutung bekommen, die die Tatsache, daß erstmals seit 1966 wieder ein Christdemokrat Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland regiert, in den Schatten stellte.

Mit dem Düsseldorfer Machtwechsel von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb wurde das Ende der linken Berliner Koalition eingeläutet, und der folgende Bundestagswahlkampf stand gleichfalls im Zeichen einer baldigen Mehrheitsverschiebung zugunsten eines christlich-liberalen Bündnisses. Bekanntlich wurde daraus nichts; das Vorbild von Rhein und Ruhr drang nicht bis zur Spree, die FDP bleibt im Bundestag in der Opposition, für die Sozialdemokraten erwies sich Schröders Coup im Angesicht der Blamage als wahltaktisch überaus vorausschauend, und der aus dem Amt verdrängte SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück wurde ins Bundeskabinett befördert.

Doch auch jenseits aller deutschlandweiten Konsequenzen lohnt ein Blick auf die geänderten Verhältnisse in NRW seit dem Regierungswechsel. Denn die jahrzehntelang andauernde "Hausmacht" der Sozialdemokratie galt in Unionskreisen bisher als Augiasstall planwirtschaftlicher Umverteilungspolitik: mit zuviel wachstumshemmender Bürokratie, zuviel Augenmerk auf Großindustrien anstelle des Mittelstands, einer katastrophal-egalitären Bildungspolitik, gefährlichen Lücken in der Inneren Sicherheit und jeder Menge "rotem Filz" in der Verwaltung.

Aus Sicht des neuen Amtsinhabers Jürgen Rüttgers steht nach einem Jahr bereits eine ansehnliche Leistungsbilanz. Besonders in den von ihm als vorrangig apostrophierten Bereichen Wirtschaft und Bildung vermeldet der Christdemokrat erste Erfolge: Die Zahl der Arbeitslosen sei in diesem Zeitraum um 30.000 zurückgegeangen, das Ifo-Institut bescheinigt ein verbessertes Wirtschaftsklima, und in große Infrastrukturprojekte sei erheblich investiert worden - bei gleichzeitiger Haushaltseinsparung von 1,2 Milliarden Euro. Außerdem habe das Land 46 Behörden aufgelöst, wobei Kritiker darauf verweisen, daß diese Ämter nur einfach den jeweiligen Bezirksregierungen zugeordnet wurden. Rüttgers jedoch spricht von einem sozialverträglichen Abbau zehntausend staatlicher Stellen innerhalb der nächsten vier Jahre.

Kritik an Integrationsminister Laschet

In der Bildung sieht die Regierung ihr Versprechen, neue Lehrerstellen zu schaffen, fürs erste bereits eingelöst und bekommt dafür auch Lob von entsprechenden Interessenvertretern. Ebenso ist unter der Ministerin Barbara Sommer (CDU) die Vorrangstellung der Geamtschule beendet worden; Rüttgers etwa wünscht sogar, daß bei den zukünftigen Empfehlungen zur weiterführenden Schule nur noch Haupt-, Realschule und Gymnasium aufgeführt werden. Fächer wie Deutsch und Mathematik sind in ihrer Bedeutung als Prüfungsfächer aufgewertet worden, schulische Sonderveranstaltungen müssen zukünftig außerhalb der Unterrichtszeit stattfinden. Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart hat zudem die Autonomie der Universitäten und Hochschulen gestärkt, die langfristig aus der Hoheit des Landes entlassen und als Anstalten öffentlichen Rechts selbständiger werden sollen.

In einem klassischen Themenfeld der Union allerdings bekommt die Rüttgers-Truppe überwiegend schlechte Noten, nicht zuletzt aus den eigenen Reihen, nämlich bei der Inneren Sicherheit. Die hat zwar der Liberale Ingo Wolff als Innenminister zu verantworten, ein wesentlicher Bereich ist jedoch auch im Ressort des CDU-Integrationsministers Armin Laschet angesiedelt. So kritisieren gerade Innenpolitker der Union wie der CDU-Bundestagsabgeordnete (und Nordrhein-Westfale) Wolfgang Bosbach oder der bayerische Innminister Günther Beckstein die Regierung in Düsseldorf dafür, daß sie sich gegen die Video-Überwachung öffentlicher Plätze und - noch unverständlicher - gegen Einbürgerungstests für hier lebende Ausländer sperre.

Mit letzterem stellte sich CDU-Mann Laschet gegen sämtliche Amtskollegen seiner Partei. Genauso unverständlich erscheint die Position Laschets, eine forcierte Abschiebung illegal hier lebender Ausländer sei "unnötig und unmenschlich". Statt dessen bevorzugt der Unionslinke ein Festhalten an muttersprachlichem Unterricht im "Einwanderungsland Deutschland". Kritiker bemängeln, Laschets Politik unterscheide sich praktisch in Nichts von der rot-grünen Vorgängerregierung. Auch dauere in NRW ein Asylanerkennungsverfahren noch immer 16 statt wie in Bayern vier Monate. Selbst Fraktionskollegen fordern jetzt die Rückkehr zu christdemokratischen Positionen, vor allem mehr Integrationsanforderungen und eine Begrenzung der Zuwanderung.

Auch was die Abkehr von der einseitigen Ausrichtung des Verfassungsschutzes angeht, hat die Regierung Rüttgers noch Nachholbedarf. Zwar ist die mit linksradikalen Seiten vernetzte amtlich Internetadresse "NRW-gegen-rechts" - nicht zuletzt nach der Berichterstattung der JUNGEN FREIHEIT (JF 3/06)- stillgelegt worden, doch tauchen auf der offiziellen Internet-seite des Verfassungsschutzes immer noch parteipolitisch motivierte Altlasten aus der sozialdemokratischen Ära auf.


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