© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/06 19. Mai 2006

"NS-Verbrechen vs. SED-Unrecht"
Der Publizist Jan von Flocken über Relativierung der DDR, Stasi-Renaissance und den Skandal des ausbleibenden Skandals
Moritz Schwarz

Herr von Flocken, der PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow hat unlängst beide deutschen Staaten für die Toten an der Mauer verantwortlich gemacht, der Schönbohm-Kritiker und Vorsitzende des Sachsenhausen-Komitees Hans Rentmeister entpuppt sich als Stasi-Spitzel, in Berlin stören ehemalige MfS-Männer Veranstaltungen, um das Gedenken an die Opfer des SED zu verhindern, und der PDS-Kultursenator Thomas Flierl schweigt, während Altkader DDR-Opfer in einer öffentlichen Veranstaltung verhöhnen. Vier Beispiele aus den letzten Wochen, die das Zeug zum Skandal gehabt hätten - die aber kein Skandal geworden sind.

Flocken: Skandale werden in diesem Lande nur dann inszeniert, wenn die Rechten etwas sagen. Man stelle sich einmal vor, Edmund Stoiber hätte "beide Seiten" für das KZ Dachau verantwortlich gemacht, Erika Steinbach erwiese sich als ehemalige SS-Angehörige, NPD-Leute demonstrierten auf der Gedenkfeier zum 27. Januar, oder Peter Gauweiler schwiege freundlich beim Auftritt Freier Nationalisten in einer öffentlichen Veranstaltung. - Nein, stellen Sie sich das lieber nicht vor, denn das würde bedeuten, zu vergleichen! Und das ist - bei Verlust der gesellschaftlichen Ehre - hierzulande strengstens verboten!

Sie wollen sagen, damit sind wir beim Kern des Problems?

Flocken: Sie haben es erfaßt. Es hilft nicht, sich zu wundern, wie das einige Journalisten immerhin tun, und zu bedauern, daß die große Aufregung regelmäßig ausbleibt. Sondern man muß die Ursache dafür benennen, daß so etwas dauernd geschieht!

Nämlich?

Flocken: Unsere völlige Fixierung auf die NS-Zeit verdrängt das Bewußtsein für die kommunistische Diktatur. Das wird schon in der Sprache deutlich, wenn etwa von "NS-Verbrechen", aber nur von "DDR-Unrecht" die Rede ist. Diese Dominanz des Nationalsozialismus betrifft übrigens nicht nur den Zeitabschnitt der DDR, darunter leidet die ganze deutsche Geschichte. Was soll man auch anderes erwarten, wenn Auschwitz mittlerweile ministeriell akklamiert als "Gründungsmythos der Bundesrepublik" betrachtet wird? Da bleibt den Opfern von SED und Stasi nur ein Platz ganz hinten im Parkett.

Sie sind Historiker, haben sich aber in der Wendezeit als einer der ersten investigativen Journalisten der DDR einen Namen gemacht, indem Sie kommunistische Verbrechen aufgedeckt haben, wofür Sie 1991 den Wächterpreis der deutschen Tagespresse erhalten haben.

Flocken: Der Morgen war das Zentralorgan der Blockpartei LDPD und wechselte - wie seine Mutterpartei - als erste DDR-Zeitung von der SED-Linie zur Perestroika. Ich wußte damals nichts davon, daß im KZ Sachsenhausen nicht nur Opfer des Nationalsozialismus gesessen hatten. Doch ein ehemaliger Häftling sprach mich an, und ich begann zu recherchieren. Nachdem wir den ersten Artikel veröffentlicht hatten brach eine wahre Welle über uns herein: Zahllose Opfer der Kommunisten oder ihre Angehörigen meldeten sich und erzählten ihre Geschichte. Was da an verdrängten Schicksalen zutage kam, war unglaublich! Andere Journalisten wurden aufmerksam, und schließlich fanden Anfang der neunziger Jahre die kommunistischen Speziallager in der SBZ/DDR allgemein ein großes Medieninteresse. Doch nach einer Zeit des gemäßigten Entsetzens war das Thema auch wieder erledigt. Man ging zur Tagesordnung über, und nicht lange darauf kam es zur ersten PDS-tolerierten Landesregierung in Sachsen-Anhalt, die den rasanten Wiederaufstieg der SED in der BRD markierte. Zurück blieben wirklich entsetzte Kommunismus-Opfer und perplexe DDR-Bürger wie ich. Merke: Während die NS-Verbrechen heute ständig heraufbeschworen werden, sind die der DDR nur ein Thema wie die Vogelgrippe oder das Dosenpfand.

Wann wurde Ihnen dieser Mechanismus der Verdrängung erstmals klar?

Flocken:: Als ich mit Michael Klonovsky, heute Chef vom Dienst beim Focus, das Buch "Stalins Lager in Deutschland" schrieb. Wir waren zutiefst erstaunt, als wir feststellen mußten, daß vierzig Jahre westdeutscher Geschichtsschreibung lediglich zwei bis drei wissenschaftlich seriöse Werke dazu hervorgebracht hatten, während die Literatur zu den Verbrechen der Nazis unüberschaubar war.

Woran liegt das?

Flocken: Beides, die akribisches Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und das Desinteresse an den Verbrechen der DDR, haben mit der grundsätzlichen Sympathie für den Kommunismus unter Medienleuten und Intellektuellen zu tun. Denken Sie nur daran, wie die Journalisten von Panorama bis Kontraste, von Kennzeichen D bis Report sich "ihre DDR" in den Jahren vor der Wende schönberichtet haben. Zwar gab es da eine Anti-SED-Linie, wenn es um die "guten" Bürgerrechtler ging, also jene, die sich selbst als Sozialisten sahen, wie Biermann oder Havemann. Aber das war nur gegen die aktuellen Machthaber, nicht gegen den Staat und die gesellschaftliche Idee gerichtet. Schließlich träumten auch die Lieblinge der westdeutschen Journalisten ja von dem Erhalt der DDR, nur eben "mit menschlichem Antlitz". Im Herbst 1989 waren diese medialen Klugscheißer dann fast etwas beleidigt, weil die DDR-Bürger ihren schönen Sozialismus nicht mehr haben wollten. Dieser Webfehler in der bundesdeutschen DDR-Wahrnehmung wurde nie aufgearbeitet und hat den Boden dafür bereitet, daß einige Jahre nach dem Schock von 1989 die Propaganda von der eigentlich doch ganz properen DDR im Zuge der Ostalgie-Welle wieder auferstehen konnte.

Also gehören Ostalgie-Filme wie "Sonnenallee" und "Good bye Lenin" verboten?

Flocken: Nein, es ist nachvollziehbar, daß die Leute sich schließlich auch an die private Seite ihres Lebens in der DDR erinnern. Natürlich steckt da immer auch ein verharmlosender Zug dahinter, aber das ist unvermeidlich. Und es stimmt ja, daß sich die DDR nicht auf die Stasi reduzieren läßt. Vermutlich ist die perfekte Bewältigung der Geschichte, wie uns das in Deutschland vorschwebt, gar nicht möglich, weil der Mensch natürlich in der Erinnerung selektiert, weil er verdrängt, weil Positives von Negativem nicht immer zu trennen ist. Das trifft auch für das Dritte Reich zu, oder glauben Sie bei der Instrumentalisierung seiner Geschichte durch Achtundsechziger und Political Correctness handelt es sich um eine Aufarbeitung? Dieses Kapitel ist ebenso unbewältigt wie das der DDR. Nur die Vorzeichen sind andere: Während im Fall DDR beschönigt wird, wird beim Dritten Reich dämonisiert. Der Grad der Verwirrung ist jedoch derselbe.

War also der falsche Umgang mit dem DDR-Erbe unvermeidbar?

Flocken:: Das glaube ich nicht, denn oberhalb der privaten Erinnerung existiert die abstrakte Ebene der öffentlichen Rezeption. Hier ist der neurotisierte Umgang mit dem Dritten Reich und der verharmlosende Umgang mit der DDR eine Folge des Paradigmenwechsels im demokratischen Selbstverständnis der Bundesrepublik: nämlich der Ablösung des antitotalitären Konsenes durch den antifaschistischen Konsens dank der Achtundsechziger. Im Kampf gegen den faschismusverdächtigen Kapitalismus und deutsches Spießbürgertum schreckte man nicht davor zurück, sich auch noch mit dem blutigsten kommunistischen Massenmörder zu solidarisieren. Das Ergebnis ist eine doppelte Verwirrung: Rechts - ist gleich rechtsextrem - beginnt schon einen Millimeter neben der Mitte, und die DDR gilt - aus mir völlig unverständlichen Gründen! - als links. Bis heute weiß ich nicht, was an einem Staat, der jedes reaktionäre Regime in den Schatten stellt, links sein soll? Egal, die DDR war "antifaschistisch" und paßt daher letztlich doch zur von den Achtundsechzigern dominierten, neuen politischen Kultur der Bundesrepublik. BRD pervers, möchte man da sagen!

Sie sprechen von einer Staatsdoktrin?

Flocken: Nein, ich spreche von einer politischen Kultur. Denn erstaunlicherweise funktioniert das, was in der DDR per zentraler Leitung organisiert war, die politische Manipulation der Öffentlichkeit, in der Bundesrepublik ohne jede Steuerung. Ich finde das bis heute verblüffend! Verboten ist bei uns nur sehr wenig, die Ausgrenzung bestimmter Themen und Standpunkte funktioniert wesentlich subtiler: Sie werden einfach fallengelassen. Es schickt sich etwa nicht, die PDS-Politiker auch heute noch mit den ollen Kamellen von damals zu belästigen. Wer so was tut, gilt sofort als kalter Krieger, wie zum Beispiel Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm. Dabei ist er einfach einer der wenigen in der CDU, die noch einen Arsch in der Hose haben! Ebenso ist es tabu, die Opfer des Kommunismus zu politisieren. Es ist aber doch seltsam, daß Verfolgte des Nationalsozislismus Antifaschisten sein dürfen, während Opfer des Kommunismus keine Antikommunisten sein dürfen. Sie sollen immer nur unpolitische verfolgte Privatleute sein. Antikommunismus gilt geradezu als Schimpfwort, das einen in die Nähe des Rechtsextremismus rückt.

Freya Klier meint, es war ein Fehler, die Stasi nicht zur kriminellen Vereinigung erklärt zu haben. Konrad Weiß bedauert, daß die SED/PDS nicht verboten worden ist.

Flocken: Ich bin mir sicher, wenn die Bürgerrechtler 1989 nicht nur Kerzen, sondern Gewehre in der Faust gehalten und ein paar von diesen Politbürobanditen an die Wand gestellt oder einige Stasi-Schergen in der Normannenstraße aus dem Fenster geworfen hätten, dann wäre vielleicht nicht nur die Renaissance der PDS ausgeblieben, sondern die BRD-Politiker hätten 17 Millionen DDR-Bürger mit mehr Respekt behandelt und ihnen nicht ohne Diskussion ihr marodes Staats- und Gesellschaftssystem aufgedrückt. Ich sage nicht, daß besser Blut geflossen wäre, dennoch ist an dieser Überlegung etwas dran. Es ist doch seltsam, daß die Revolution 1989 offiziell gerade deshalb als gelungen gilt, weil die konsequente Abrechnung nicht erfolgt ist. Während oftmals dieselben Linken die Revolution von 1918 aus ebendiesem Grund für gescheitert erklären.

Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat die geforderte Beobachtung der Stasi-Ehemaligen-Organisation GRH (siehe Interview unten), die für den jüngsten Eklat in Berlin verantwortlich ist, durch den Verfassungsschutz abgelehnt, da "geschichtsrevisionistische Cliquen nicht Gegenstand des Verfassungsschutzes sind".

Flocken: Selten so gelacht! Ist der Mann wirklich derart ahnungslos? Wenn er ehrlich wäre, müßte er formulieren: "Geschichtsrevisionistische Cliquen sind nur dann kein Gegenstand des Verfassungschutzes, solange sie nur die DDR-Vergangenheit schönreden." Geschichtsrevisionistische Cliquen oder was man manchmal so bezeichnet, welche die NS-Vergangenheit auch nur unter anderen Teilaspekten betrachten, als das in unserem Land vorgeschrieben ist, werden nicht nur selbstverständlich vom Verfassungsschutz beobachtet, sondern noch ganz anders "sonderbehandelt". Da zeigt sich, Staat und Gesellschaft könnten, wenn sie wollten, aber sie wollen gegen Links nicht. Womit wir wieder beim eigentlichen Skandal wären.

 

Jan von Flocken gilt als einer der ersten investigativen Journalisten der DDR in der Wendezeit. Für seine Recherchen zu den Verbrechen des Kommunismus in Mitteldeutschland erhielt er 1991 den Wächterpreis der deutschen Tagespresse. Als Mitarbeiter des Morgen, der ersten DDR-Tageszeitung auf Perestroika-Kurs, war er nach der Wende an der erneuten Aufdeckung des stalinistischen Lagersystems in SBZ und DDR beteiligt. Mit einem Kollegen veröffentlichte er dazu eine wegweisende Studie bei Ullstein. 1991 wechselte er zur Berliner Morgenpost, 1996 zum Focus. Seit 2005 lebt der 1954 in Borna geborene studierte Historiker als freier Autor bei Berlin.

Wichtigste Veröffentlichungen: "Stalins Lager in Deutschland '45 bis '50" (Ullstein, 1991), "Ernst Wollweber. Saboteur, Minister, Unperson" (Aufbau-Verlag, 1994), "Unser tausendjähriges Reich. Politisch unkorrekte Streifzüge durch die Geschichte der Deutschen" (Homilius, 2006)

 

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