© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/06 12. Mai 2006

"Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende"
Das zweimal geraubte Eigentum / Udo Madaus über Vermögensverluste von 1945/1949 und von 1990
Klaus Peter Krause

Die Verletzung des Rechts am Eigentum durch den deutschen Staat begann 1990 mit der deutschen Wiedervereinigung und besteht fort. Begangen wird sie an Familien, die 1945 bis 1949 in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) schwerer politischer Verfolgung ausgesetzt waren. Die Kommunisten sahen in ihnen, dem Besitzbürgertum, den zu vernichtenden "Klassenfeind". Sie vertrieben, deportierten, inhaftierten, verschleppten sie und ermordeten viele. Auch entzogen sie ihnen entschädigungslos alles Eigentum - Grundstücke, Häuser, Betriebe, Ländereien sowie das bewegliche Hab und Gut. 1990 war das meiste davon in den Besitz des gesamtdeutschen Staates übergegangen. Seitdem kämpfen die Opfer um die Rückgabe dieses zweimal geraubten Eigentums. Aber Politiker, Behörden und Gerichte verweigern sie.

Diese rechtsstaatswidrige Verweigerung hatte und hat erwiesenermaßen fiskalische Gründe. Politische Verblendung, Vorurteile und Mitläufertum spielen dabei ebenfalls eine Rolle. Daher sind diese Familien heute abermals Opfer politischer Verfolgung.

Auch des Autors Familie gehört zu ihnen. Sein Buch über diesen Teil staatlicher Rechtswidrigkeiten seit der deutschen Einheit ist im wesentlichen eine Dokumentation, denn für das Unrechtsgeschehen läßt Madaus vor allem Dokumente sprechen. Kommentierend begleitet er sie mit eigenen Beiträgen, darunter auch solche, die er schon früher verfaßt, und Briefe, die er an die Hauptverantwortlichen geschrieben hat. Dokumente und zahlreiche Beiträge anderer Autoren, relevante Gesetztexte, Namensverzeichnis und Anmerkungen runden das Buch ab. Diese Opfer aus der SBZ-Zeit beziffert Madaus auf 300.000 bis 400.000.

Eine solche Dokumentation zum gleichen Gegenstand hat der Autor schon einmal vorgelegt ("Allianz des Schweigens", Berlin 2003). Darin ging es vor allem um Rechtswidrigkeiten von gesetzgebender und ausführender Gewalt. Jetzt nimmt er die rechtsprechende Gewalt ins Visier, hier die höchstrichterliche, nämlich die Handlungsweise des Bundesverfassungsgerichts. Dabei konzentriert er sich auf dessen beiden Entscheidungen von 1991 und 1996, die sogenannten Bodenreform-Urteilen, womit deren Gegenstand allerdings viel zu eng umschrieben ist. Beide Entscheidungen sind im Wortlaut wiedergegeben, auch die Schriftsätze der beklagten Bundesregierung, mit denen sie den Vermögensraub verteidigt und bisher gesichert hat.

Madaus, selbst Jurist, wirft dem Gericht vor, drei Grundsätze des Verfahrensrechts und der richterlichen Pflicht außer acht gelassen zu haben: den Anspruch beim rechtlichen Gehör auch auf eine mündliche Verhandlung (die das Gericht im zweiten Verfahren unterband), die sorgfältige Würdigung aller vorgelegten Beweise (was nicht geschehen ist) und die oberste Pflicht des Richters, die Wahrheit zu ergründen (was ebenfalls unterblieb).

Er bezeichnet es als geradezu unglaublich, wie das Gericht im zweiten Verfahren alle neuen Tatsachen mit entsprechenden Beweisanträgen vom Tisch gewischt habe. Geschlagen gibt sich Madaus trotzdem noch nicht. Er verweist auf die Äußerung des heutigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier: "Bei Unrecht gibt es keinen Schlußstrich", und versichert, daher gehe der Kampf um das Recht weiter. Ein Kapitel am Ende des Buches heißt "Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende".

Ein besonderes Kapitel befaßt sich mit dem einstigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Roman Herzog, der damals als Vorsitzender des Ersten Senats die juristische Absicherung des staatlichen Unrechts und das erste "Bodenreform-Urteil" von 1991 wesentlich mit zu verantworten hat. Madaus "widmet" dieses Kapitel aber auch, wie er schreibt, den anderen Senatsmitgliedern Dieterich, Grimm, Henschel, Kühling, Seibert, Seidl und Söllner, weil sie ihre richterlichen Pflichten ebenfalls verletzt hätten. Er zeigt "Herzog im Spiegel seiner Worte". Im Detail greift er an, wie Herzog später (1992 und 1993) das Urteil öffentlich kommentierte, und hält ihm entgegen, was daran falsch sei.

Das zentrale Kapitel des Buches steht unter der Überschrift "Anklage gegen das Verfassungsgericht". Hier werden die Vorwürfe gegen Herzog auf seinen Nachfolger im Amt des Vorsitzenden, Otto Seidl, ausgedehnt und im einzelnen begründet. Diese Anklage geht aus von vier "fundamentalen Fragen" und basiert, wie der Autor schreibt, auf den Erkenntnissen führender Verfassungsrechtler, die er in geraffter Form wiedergibt. Man liest, was das Gericht im zweiten Verfahren alles hätte beachten müssen, es aber nicht tat und trotz erdrückender Beweislage zugunsten der beschwerdeführenden Opfer auch diese zweite Klage durch bloßen Beschluß (also ohne mündliche Verhandlung) abgewiesen hat. Madaus zitiert den mit Herzog langjährig befreundeten Staatsrechtler Klaus Stern: Die Untersuchung des Gerichts habe da aufgehört, wo sie hätte anfangen müssen.

Eines allerdings vermißt man in dem Buch: Es blendet die Rehabilitierungsgesetze gänzlich aus. Dabei sind sie im Regelwerk für die Wiedergutmachung von Unrecht der SBZ- und der DDR-Zeit ein wesentlicher Bestandteil. Zusammen mit dem Vertrag zur deutschen Einheit, der Gemeinsamen Erklärung, dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz sowie dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen bilden sie eine rechtlich-systematische Einheit, die eine Rückgabe der noch verfügbaren Vermögenswerte an die Opfer der SBZ-Zeit sehr wohl ermöglicht und sogar gebietet.

In vielen Einzelfällen ist eine solche Rückgabe auch schon gelungen, in den meisten allerdings noch nicht. Das hängt damit zusammen, daß die politische Meinung beide Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes absichtsvoll als Rückgabeverbot darstellt und Ämter und Gerichte sie daher ebenfalls als solches auffassen, was aber unzutreffend ist. Das gleiche gilt für einen Satz im Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz. Aber das Buch ist ganz auf das Verfassungsgericht mit dessen beiden Entscheidungen fixiert.

Udo Madaus: Wahrheit und Recht. Dokumentation einer politisch motivierten Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht zur Frage der Enteignung/Konfiskationen 1945-1949 in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Frieling Verlag, Berlin 2006, 784 Seiten, broschiert, 27,80 Euro

Foto: Gorbatschow (re. Beatrix Herzogin von Oldenburg) streitet Beibehaltung der Nachkriegskonfiskationen als Bedingung für die Wiedervereinigung ab, Berlin 1998: Versagen der Rechtsprechung


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