© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/06 12. Mai 2006

Quote statt Qualität
Vom Verfall des öffentlich-rechtlichen Fernsehens
Matthias Schultz

Als ARD-Auslandskorrespondent Jürgen Bertram 1995 nach 15 Jahren aus Asien wieder nach Deutschland zurückkehrte, traf ihn ein Kulturschock, der seither nicht abgeklungen ist. Mittlerweile muß er sich statt seriöser Nachrichten selbst in der renommierten Tagesschau Trivialitäten wie Daniel Küblböcks Zusammenstoß mit einem Gurkenlaster anhören. Mit der Öffnung des Medienmarktes für die privaten Anbieter im Jahre 1984 fiel nicht nur das Monopol der Öffentlich-Rechtlichen, sondern zunehmend auch ihr Niveau.

Doch das Schielen nach der Quote, bei der die Qualität zwangsläufig auf der Strecke bleiben muß, setzt nur eine fatale Entwicklung fort, die schon viel früher einsetzte. In seinem am Dienstag vergangener Woche im Bremer Presseclub vorgestellten Buch "Mattscheibe. Das Ende der Fernsehkultur" rechnet Bertram, der von 1995 bis zu seiner Pensionierung 2000 die Abteilung Zeitgeschehen im NDR leitete, nicht nur nach langen, quälenden Abwägungen mit seinem ehemaligen Arbeitgeber ab, sondern zeichnet auch dessen Entwicklung nach.

Den ersten Sündenfall, so Bertram, begingen die elektronischen Medien schon zur Zeit Herbert Wehners. Dieser attackierte bereits mit Hugh Carleton Green, dem von der britischen Militärregierung eingesetzten Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks, einen ihrer Gründungsväter und vehementen Verfechter der strikten Trennung von Politik und Presse. Doch mit dem Parteienproporz in den Öffentlich-Rechtlichen machten dessen Nachfolger förmlich einen Kotau vor der Macht, die sie eigentlich kontrollieren sollten.

"Gegenwehr erwarte ich von Wertkonservativen"

Bertram, der sich selbst als ehemaliger Spiegel- und Panorama-Redakteur auch heute noch eher im linken Spektrum einordnet, hat klar erkannt, daß dabei auch und vor allem die alten 68er extreme Widersprüche zwischen Anspruch und Handeln erkennen ließen. "Da wurden mit jakobinischer Fallbeilmentalität betriebene Grabenkämpfe gegen Wertkonservative wie Gerhard Löwenthal ausgefochten, die wirklich an den Bedürfnissen des Publikums vorbeigingen."

Den zweiten Sündenfall entdeckte Bertram bei der Öffnung der Öffentlich-Rechtlichen für die Werbung. "Sie verkaufen ihre Seele, wenn sie den Privaten hinterherhecheln. Denn dem Markt sind Moral und Inhalte egal, Hauptsache es läßt sich verkaufen." Wenn er mit ansehen muß, wie Vorabendprogramme exakt nach den Bedürfnissen der Wirtschaft produziert oder stundenlang Königshochzeiten übertragen werden, dann hat das nichts mehr mit dem gesetzlich eingeforderten Grundauftrag zu tun, zu informieren, aufzuklären, Orientierung zu bieten und erst dann auch zu unterhalten. "Heute ist die Priorität umgekehrt. Die Boulevardisierung hat bedenkliche Formen angenommen, Seriosität und Substanz bleiben dabei auf der Strecke."

Doch auch einen Hoffnungsschimmer kann Bertram ausmachen. Bürgerinitiativen und Proteste von der Basis könnten die Verantwortlichen zur Räson bringen, schließlich wankt mit der schleichenden Verflachung und Entpolitisierung auch ein Grundpfeiler der Demokratie. "Besonders aus dem wertkonservativen Lager erwarte ich die wirksamste Gegenwehr. Denn heute sind für mich konservativen Positionen durchaus plausibel, und im Grund vertrete ich mit meinem Buch auch die alten Werte eines Bildungsbürgertums im besten Sinne."

Jürgen Bertram: Mattscheibe. Das Ende der Fernsehkultur, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 2006, kart., 240 S., 8,95 Euro


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