© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/06 12. Mai 2006

Unverwechselbare Gesten
Konservative Publizistik: Die "Sezession" unternimmt einen neuen Vorstoß zur Änderung der Verhältnisse
Michael Kreuzberg

Die Intelligenz gerät heute in Gegensatz zu den Vorstellungen und Erwartungen des Kollektivs", schrieb der konservative Journalist Hans Zehrer unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. "Sie muß verzichten auf die Riesenauflagen der 'bestseller',(...) auf die Staats-, Wirtschafts-, und Gewerkschaftspöstchen und auf den kleinen Tages-'job' in der Presse und Rundfunk, Film und Theater."

All dies wird nach Zehrer vom Kollektiv beherrscht, das sich der Konsumsklaverei US-amerikanischer Provenienz willig unterworfen hat. Inzwischen scheint es, daß die Intelligenz heute selbst dann gegen das Kollektiv steht, wenn es lemmingshaft in seinen eigenen Untergang rast, ohne darüber im mindesten beunruhigt zu sein.

Auch Götz Kubitschek und Karlheinz Weißmann, die Hauptverantwortlichen für das vom Institut für Staatspolitik (IfS) herausgegebene Vierteljahresheft Sezession, scheinen wenig Illusionen zu hegen, die Publizistik könne in die Speichen der Zeitläufe greifen oder es zu mehr bringen als zu einer um fünf nach zwölf rehabilitierten Kassandra. Dennoch besteht kein Grund zur Untätigkeit. Weder Niekischs Widerstand noch Zehrers Tat konnten die deutschen Verhängnisse abwenden. Ihren Schriften erreichten jedoch etwas Seltenes: strahlungsmächtige Kreise zu ziehen, ein geistiges Milieu zu prägen, ein Saatgut auszuwerfen, eine unverwechselbare Geste zu hinterlassen.

"Kontroverse ist erwünscht, jedoch nicht als Spiel"

Nach 1945 ist das vielleicht nur noch mit Abstrichen Hans-Dietrich Sanders Staatsbriefen und vor allem Caspar von Schrenck-Notzings Criticón gelungen. Die Abwicklung des letzteren hat eine Lücke hinterlassen, die die Sezession zu füllen sucht. Das erste Heft, mit dem charakteristischen Layout von Thomas Michael, erschien im April 2003, und war wohl nicht von ungefähr dem Thema "Krieg" gewidmet. Seither alternieren die Ausgaben zwischen freien und themengebundenen Heften mit lakonischen Titeln, bisher erschienen etwa "Rechts", "Links", "1945", und "Identität".

Sezession bietet solide, wissenschaftliche Grundlagenarbeit, die auch in den "Berliner Kollegs" und Seminaren des IfS geleistet wird, die den Themenheften jeweils vorausgehen. Auf ihrer Netzseite betonen die Herausgeber, daß man mehr als ein weiteres Mauerblümchen im Blätterwald der Schwafelzone sein möchte: "Sezesssion ist eine politische Zeitschrift, in der realpolitisch, nicht gesinnungspolitisch gedacht wird. Sie unterstützt den Vorsatz ihrer Leser, Entscheidungen zu treffen. Kontroverse ist erwünscht, jedoch nicht als intellektuelles Spiel".

Vor allem Kubitschek versteht es gekonnt, sich selbst zu inszenieren. Nicht nur in dem Internet-Tagebuch des IfS (www.staatspolitik.org), das mit pointierten Glossen und Stellungnahmen aufwartet, sondern auch mittels berüchtigt gewordener Auftritte wie auf einer Tagung des Verfassungsschutzes NRW in Düsseldorf im Jahre 2003. "Provokation", "Unversöhnlichkeit" und "Ernstfall" sind Schlüsselwörter der Selbstverortung, die darauf abzielt, der Falle des unverbindlichen Dauerdiskurses zu entrinnen.

Schon der Titel der Zeitschrift markiert die Absicht, Wege jenseits des Mainstreams ins Gebüsch zu schlagen und zu betreten. Auch auf die Gefahr des Epigonentums hin wird die Fackel übernommen, die mit Namen wie Jünger, Benn, Gehlen, Mohler und dem "Geheimen Deutschland" verbunden ist - ein unverhohlener Rekurs, der manche Gegner des IfS geradezu in Weißglut versetzt.

Das April-Heft widmet sich dem zur Zeit drängendsten Thema Deutschlands: dem "Multikulturalismus". Die verschiedenen Aspekte der Problematik werden fundiert behandelt, mit einer erfreulichen, seltenen Abwesenheit von "Schaumsprache". Den Brückenschlag in die Geschichte leistet wie immer Karlheinz Weißmann mit dem Beitrag "Biblische Lektionen", der die mit Krieg und Genozid verbundene Dynamik von Völkerwanderungen in der Antike nachzeichnet. Er kommt zu dem überraschenden Schluß, "daß die Existenz von Nationen ein Ausnahmefall in der Geschichte ist; multikulturelle Systeme sind die Regel", und stellt - weniger überraschend - fest, daß historisch gesehen "multikulturelle Systeme am besten despotisch zu beherrschen sind".

"Demographie des Verschwindens", ein Interview mit dem Bamberger Bevölkerungswissenschaftler Josef Schmid, nennt Zahlen, Fakten, Hintergründe und zieht das Fazit: "Das sogenannte 'Aussterben der Deutschen' ist also keine Fiktion, kein Schreckensbild, keine Wahnvorstellung, die man beliebig belächeln und bekichern kann. Es ist das Menetekel an der Wand einer Gesellschaft oder gar eines Kontinents, der auf dem Wege ist, Aufklärung mit Nihilismus zu verwechseln."

Arne M. Schemmerlings Beitrag "Multikulti konsequent: gated communities" berichtet Verblüffendes über den weltweiten Trend der zum Teil militanten, auf private Initiative betriebenen Abschottung zumeist weißer Mittel-und Oberschichten in hochtechnologisch gesicherten Wohlstandsinseln, um die ein Meer von urbanen Unterschichten spült.

Bürgerkrieg als Fluchtpunkt der Multikulti-Illusion

"Intellektuelle Risikobereitschaft" von Michael Paulwitz zeichnet detailiert die zum Teil haarsträubende Täter-Geschichte des Multikulturalismus in Deutschland nach, deren Akteure wie Daniel Cohn-Bendit sich nach dem Scheitern ihrer "riskanten" Agenda heute jeglicher Verantwortung entziehen.

Den Fluchtpunkt multikultureller Gesellschaften, Bürgerkrieg und ethnische Säuberung, zeigt Daniel L. Schikora am Beispiel des Kosovo auf. "Necla Kelek und ihre Feinde" von Wiggo Mann ist ein aufschlußreiches Lehrstück über die politischen Querfronten in der Migrationsdebatte. Weißmanns Porträt des "Untergangspropheten" Jean Raspail und seines royalistischen, nun auf deutsch erschienenen Romans "Sire" schließt das Heft ab.

Wenn die "Änderung der Verhältnisse" mit "radikaler Kritik, Klärung der Lage, Zuspitzung der Begriffe" (Kubitschek) beginnt, dann ist hier gute Arbeit geleistet worden. Die es angeht, werden dagegen immun sein: die Geschichte lehrt, daß wissenschaftliche Analysen in der Regel am Beton der unklaren Ideen zerschellen. Der "aktive Pessimismus" der Herausgeber ist jedenfalls unermüdlich am Werk: für die beiden nächsten Hefte stehen Inhalt und Titelbildgestaltung schon fest.

Kontakt: Institut für Staatspolitik, Rittergut Schnellroda, 06268 Albersroda, Tel./Fax: 03 46 32 / 9 09 42.

Foto: Titel der aktuellen "Sezession": "Aktiver Pessimismus" am Werk


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