© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/06 12. Mai 2006

Pankraz,
K. Livingstone und der Stand der Wasseraktien

Londons pittoresker Bürgermeister Ken Living-stone zieht nicht mehr die Wasserspülung, wenn er gepinkelt hat, und spricht darüber auch im Fernsehen. "Ich lasse, wie einst Cicero, das Wasser stehen (hic haeret aqua). Ich will damit ein Zeichen setzen gegen den verschwenderischen Umgang mit Wasser überall auf der Welt. Alle reden vom Öl, kaum jemand vom Wasser. Und dabei ist das Wasser letztlich viel wichtiger als das Öl."

Über die Qualität von Livingstones Zeichengebung läßt sich streiten, seine Diagnose ist unbezweifelbar. Zwar besteht die Erdoberfläche zu 75 Prozent aus Wasser, aber es ist Salzwasser; nur ein einziges Prozent ist trinkbares Süßwasser. Und von diesem einen Prozent ist die Hälfte in Arktis und Antarktis festgefroren, so daß für den Kreislauf des Lebens nur ein halbes Prozent bleibt. Dieses halbe Prozent muß sich der Mensch teilen mit der übrigen Kreatur, allenfalls 0,25 Prozent bleiben exklusiv für ihn übrig.

Doch wie geht er mit diesen restlichen 0,25 Prozent um! Ein beträchtlicher Teil wird schon vor Gebrauch aus Unachtsamkeit verschüttet, tritt aus defekten oder schlecht gebauten Leitungssystemen aus, "dient" schließlich nur allzu oft völlig überflüssigen, gar sinnlosen Zwecken. Weitaus das meiste "verbraucht", nämlich verschmutzt und vergiftet, die Industrie bei der Inganghaltung und Kühlung ihrer Aggregate, trotz aller diesbezüglichen Gesetzesauflagen und Kontrollen in den entwickelten Ländern. In vielen Gegenden der Welt werden nach wie vor riesige Mengen von "Abwasser" in Flüsse und Seen geleitet, so daß dort jedes Leben erstirbt.

Reinigung verdorbenen Wassers oder Gewinnung von Süß- aus Salzwasser sind teuer und erfordern vielerorts Technologien, die ihrerseits einen hohen Süßwasserverbrauch haben. Das verdorbene Wasser sickert ins Grundwasser ein und beginnt, diesen einzigen "Süßwasservorrat", den wir haben, anzuknabbern und der Nutzung durch den Menschen zu entziehen. Andererseits dringen immer mehr artesische Brunnen zu den verlockenden Grundwasserblasen vor und zapfen sie an. Gleichsam die letzten Reserven werden mobilisiert - und zur selben Zeit verdorben. Ein Verhängnis.

Das Wasser insgesamt ist ja eine feststehende Naturgröße, die durch Technik nicht verändert werden kann. Schon die Bibel wundert sich: "Alle Wasser laufen ins Meer, doch wird das Meer nicht voller" (Pred. Salomo 1,7). Der Süßwasseranteil ist Moment im großen Wasserkreislauf: 1. Wasser steigt von heißen Ozeanen auf und entledigt sich dabei seiner Salze; 2. Die über dem Land abregnenden Wolken speisen Flüsse und Seen; 3. Das reine Wasser bildet den Hauptbestandteil jeder lebendigen Kreatur, "verdirbt" dabei, d.h. reichert sich mit Salzen usw. an - und fließt 4. früher oder später, so oder so, in die Ozeane zurück.

Dieser Kreislauf kann nicht künstlich unterbrochen, er kann nicht einmal in seinen wechselnden Beständen wesentlich verändert werden. Mit anderen Worten: Es wird nicht möglich sein, den Süßwasseranteil dramatisch zu steigern, so wie es angesichts der rapide wachsenden Weltbevölkerung an sich notwendig wäre. Und natürlich kann es auch keinen "Ersatz" für Wasser geben. Erdöl wird eines Tages durch "alternative" Energieträger ersetzt werden, Wasser jedoch ist nicht zu ersetzen, es ist Lebenselement par excellence, wer es ersetzen wollte, müßte das Leben ersetzen.

Politologen sagen denn auch für eine gar nicht so ferne Zukunft erbitterte soziale und nationale Auseinandersetzungen, ja regelrechte Kriege um die verbleibenden Wasservorräte voraus. Das Unheil werde zuerst wüstenhaltige Regionen mit traditioneller Wasserknappheit befallen, wie es sich schon jetzt anbahne. Wer am Oberlauf von Flüssen sitze, sei gut dran. Er werde immer größere Rückhaltebecken bauen, um seine eigene Versorgung zu sichern und die weiter unten wohnenden Völker und Stämme von sich abhängig zu machen.

Man soll kein Zyniker sein, aber angesichts der großen Wassernot, die Mitteleuropa auch in diesem Frühjahr wieder heimgesucht hat, angesichts all der schlimmen Bilder von klagen-den Zeitgenossen, die ihr Häuschen nun schon zum x-ten Male vom Hochwasser überflutet sahen, konnte Pankraz (der hochwassersicher am Hang wohnt) den Gedanken nicht unterdrücken: "Wie glücklich alle diese klagenden Menschen sind! Fast jedes Jahr werden sie mit Wassermassen schier zugedeckt, und es ist gutes Wasser, das nur ein bißchen Kläranlage braucht, damit man es trinken und mit ihm den Garten gießen kann. Freut euch doch!"

Natürlich freut sich niemand, aber der Grundwasserpegel hierzulande ist für Generationen gesichert, und auch Bürgermeister Livingstone im regenreichen London könnte sein stehendes Pinkelwasser getrost sofort wegspülen, er würde niemandem damit schaden und auch die Zukunft der Nachgeborenen nicht gefährden.

Es geht nicht um Wassersparen in gemäßigten Breiten, sondern um die Bereitstellung gewaltiger Finanzmittel für die Konstruktion kluger, behutsam operierender, naturschonender Wasserversorgungs- und -erschließungssysteme in den heißen Zonen. Parallel dazu müßten endlich wirksame Strategien entwickelt und durchgesetzt werden, um die Bevölkerungsexplosion in diesen Zonen effektiv einzudämmen. Denn diese ist die Mutter vieler Übel, auch und vor allem der Wasserknappheit.

Immerhin, was den ersten Punkt betrifft, die Entwicklung der Wasserwirtschaft, so scheint sich da ein Silberstreif am Horizont aufzutun: Die Aktien wasserwirtschaftlicher Unternehmen und Forschungsinstitute steigen seit einiger Zeit kontinuierlich, wenn auch langsam, wie Pankraz in versteckten Winkeln der Wirtschaftsteile liest. Trotzdem ist nach wie vor allein das Auf und Ab der Ölaktien im Gespräch. Da müßte endlich mal ein auffälliges Zeichen gesetzt werden. Leute, kauft fleißig Wasseraktien und redet auch darüber! Nicht zuletzt, um Ken Livingstone in London zu entlasten.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen