© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/06 12. Mai 2006

Multikulturelle Projekte haben jetzt Vorrang
Finnland: Der traditionsreichen Deutschen Bibliothek in Helsinki droht die Schließung / Kein Geld aus Berlin mehr
Anni Mursula

Die Deutsche Bibliothek in Helsinki wird dieses Jahr 125 Jahre alt. Trotz langer Geschichte droht dieser Institution in der finnischen Hauptstadt nun die Schließung. Nachdem die finnische Kultusministerin Tanja Karpela von der liberalen Zentrumspartei die Unterstützung für die Bücherei nur noch für das laufende Jahr ankündigte, entschied sich auch das Berliner Auswärtige Amt gegen eine weitere Förderung. Bislang zahlte Deutschland 65.000 Euro jährlich, Finnland 50.000 Euro und 15.000 Euro kamen aus Spenden zusammen.

1877 gründeten zwölf deutschsprachige Familien in Finnland einen Lesekreis, dessen Mitglieder sich verpflichteten, jedes Jahr mindestens ein deutsches Buch zu kaufen und dies auch an die anderen Mitglieder zu verleihen. Bereits vier Jahre später wurde mit diesen Büchern die Deutsche Bibliothek gegründet. Sie umfaßt heute weit über 36.000 Bände. Die im Zentrum Helsinkis liegende Bibliothek ist die einzige deutsche in Skandinavien. Bislang wurde sie hauptsächlich vom deutschen Auswärtigen Amt finanziert. In den letzten Jahren hat jedoch auch die finnische Regierung Geld zur Verfügung gestellt.

"Heutzutage werden keine bilateralen Beziehungen zwischen zwei Staaten, sondern multikulturelle Projekte gefördert", erklärte die Bibliotheksleiterin Kaarina Rantavaara gegenüber der JUNGE FREIHEIT. "Momentan kämpfen wir um unsere Existenz. Signale in dieser Richtung hat es allerdings schon seit Jahren gegeben. Zur Zeit verhandeln wir unter anderem mit der Universität von Helsinki sowie mit der Deutschen Schule über eine mögliche Fusion. Die Aussichten sind allerdings schlecht", beklagte Rantavaara.

"Die Bibliothek ist vor allem für Germanistikstudenten in Finnland sehr wichtig. Keine andere hiesige Bibliothek hat annähernd vergleichbare Bestände", so die Bibliotheksleiterin. Die Bücherei sei allerdings nicht nur deswegen von Bedeutung. Wertvoll sei die Bibliothek auch vor allem, weil sie zusammen mit der Deutschen Schule und der deutschen Gemeinde die wichtigsten Säulen der Auslandsvertretung Deutschlands in Finnland bilde.

"Die Bibliothek ist äußerst bedeutend für die Förderung der Deutschen Kultur und Sprache im Ausland - was für Deutschland unentbehrlich ist", sagte Rantavaara. "Die Förderung geschieht momentan zusammen mit Deutschland, was allerdings in den nächsten Jahren passiert, ist noch unklar." Im Vergleich zu vielen anderen Projekten fahre die Bundesregierung mit der Bibliothek allerdings sehr günstig. Dennoch sei eine weitere Finanzierung abgelehnt worden. "Deutschland würde durch die weitere Unterstützung der Bibliothek etwas Einzigartiges und Wertvolles am Leben erhalten - und müßte dafür nicht annähernd so viel Geld bezahlen, wie zum Beispiel für ein Goethe-Institut nötig ist."

Kaarina Rantavaara bedauert, daß die Deutschen viel zu zurückhaltend in bezug auf ihre eigene Kultur und Sprache seien. Die Verweigerung, eine offensive Kulturpolitik zu betreiben, habe Langzeitwirkungen auf alle Lebensbereiche - nicht zuletzt auch auf die Wirtschaft. Viele Deutsche griffen vorschnell zu Englisch und schätzten ihre eigene Sprache viel zu wenig.

Rantavaara, die durch ihr Studium in Deutschland eine feste Bindung zu dem Land verspürt, ist ihren eigenen Wörtern nach selbstverständlich parteiisch, wenn es um deutsche Sprache und Kultur geht. "Deshalb verstehe ich auch nicht, warum Finnland angekündigt hat, in seiner im Sommer beginnenden EU-Präsidentschaft Deutsch nicht als offizielle Sprache anzuerkennen. Daß Französisch als EU-Sprache anerkannt bleibt, ist den Finnen anscheinend selbstverständlich - auch wenn in Europa weit mehrere Menschen Deutsch als Muttersprache sprechen."

Französisch habe in Finnland Deutsch längst als Fremdsprache überholt. Das liege vor allem an den zahlreichen Sprachkampagnen, die von Frankreich in den vergangenen Jahren auch in Finnland durchgeführt worden sind. "Deutsch hat in den letzten Jahrzehnten drastisch an Attraktivität verloren. Nach der Wiedervereinigung gab es eine kurze Zeit lang verstärktes Interesse gegenüber deutsche Kultur - seitdem hat es aber wieder abgenommen", erläuterte Rantavaara.

Der deutschen Botschaft in Finnland sei dieses Problem schon länger bekannt. Diese wüßten sehr gut, daß etwas getan werden muß. "Nur wie soll die Botschaft irgendwelche Pro-Deutschprojekte fördern, wenn das Auswärtige Amt bei der Finanzierung nicht mitmacht", fragte Rantavaara.

Die Gründe für die passive Kulturpolitik könnten laut der Bibliotheksleiterin in der jüngeren Geschichte Deutschlands liegen. Viele Deutsche hätten vermutlich Angst, ihre Kultur und Sprache selbstbewußt zu vertreten. "Für diese Art von Kulturpolitik wird Deutschland allerdings irgendwann teuer bezahlen müssen."

 Die Deutsche Bibliothek im Internet: www.kolumbus.fi/deutsche.bibliothek/dbadr.htm Telefon: 0 03 58 / 9-669-363

Foto: Ministerin Karpela: Sparpolitik


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