© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/06 12. Mai 2006

Kolumne
Zwischen Umkehr und taktischer Anpassung
Klaus Motschmann

Aus der evangelischen Kirche sind seit einiger Zeit Stellungnahmen zu gesellschaftlichen und politischen Problemen zu vernehmen, die aufhorchen lassen, weil sie in einem bemerkenswerten Widerspruch zum bislang vorherrschenden Meinungsklima stehen. Deuten sie einen Kurswechsel an? Das ist denkbar und wäre dankbar zu begrüßen.

Allerdings ist es auch denkbar, daß wir es keinesfalls mit einer allgemeinen "Umkehr" nach dem biblischen Vorbild eines "Sinneswandels" (Luk. 15,21) zu tun haben, sondern lediglich mit einer neuerlichen taktischen Anpassung an den sich wandelnden Zeitgeist. Nach allem, was wir in und mit der evangelischen Kirche erlebt haben, sollte diese Überlegung gestattet sein. Zur Klärung der angedeuteten Fragen würde es schon genügen, wenn die evangelische Kirche die in ihr vorherrschenden Maßstäbe einer "Theological Correctness" nun endlich einmal selber beachtete.

Das offenkundige Engagement vieler Theologen für den politischen Linksextremismus und Terrorismus - insbesondere in den Auseinandersetzungen mit dem Terror der RAF Mitte der siebziger Jahre - wurde ja nicht politisch, sondern theologisch begründet. Damals sahen sich maßgebende Gremien und Theologen der evangelischen Kirche immer wieder veranlaßt, vor "Hysterie und Vorverurteilungen" zu warnen: "Kirche muß alle Versuche abwehren, Menschen zu verleumden und durch Diffamierung aus ihrem Amt und Beruf zu drängen. Auch Rufmord ist eine Form von Gewalt" - und eben nicht allein das Bombenlegen. Deshalb kann die Kirche nur dann glaubwürdig handeln, "wenn sie an verleumdeten Menschen festhält und gegenüber jedem, auch dem größten Verbrecher," auch den "wahnwitzigen Bombenlegern" Gottes Barmherzigkeit bezeugt.

Gegenüber jedem! Das heißt doch wohl auch gegenüber verleumdeten Rechtsradikalen! An ungezählten Bekundungen dieser Barmherzigkeit gegenüber linksextremistischen Tätern hat es denn auch nicht gefehlt - vom spektakulären Besuch eines Bischofs bei einer inhaftierten Terroristin bis zum Blumenstrauß einer theologischen Fakultät für einen verletzten inhaftierten Gesinnungsgenossen.

Von entsprechenden Bekundungen gegenüber verleumdeten und verhafteten Rechtsradikalen hat man bislang noch nichts gehört. Im Interesse der erwähnten Glaubwürdigkeit kirchlichen Handelns sollte die evangelische Kirche um eine Klärung der offenkundigen Ungleichbehandlung bemüht sein. Die nächste Kampagne gegen Rechts (à la Potsdam) könnte dafür ein guter Anlaß sein.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin.


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