© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/06 12. Mai 2006

Beim Wort nehmen
von Günther Deschner

Der Atomstreit zwischen dem Iran und den USA und ihren Partnern läuft in die Sackgasse. Das Ende des Weges ist absehbar: Krieg oder Kapitulation einer der Parteien. Die Weltsicherheitsratsmitglieder sind zerstritten. Russen und Chinesen lehnen die Drohung mit Kapitel VII der UN-Charta ab, das Sanktionen und Militärschläge erlaubt. Daß die Haltung Washingtons an die vor dem Irak-Krieg erinnert, beunruhigt auch die Europäer. In diesem Patt hat Mahmud Ahmadinedschad an George W. Bush geschrieben. Die knapp 20 Seiten sind der erste direkte Kontakt zwischen einem iranischen und US-Präsidenten seit der Revolution 1979. Seither war der Iran für die USA ein "Schurkenstaat", 2001 zählte ihn Bush zur "Achse des Bösen". Für Ahmadinedschad sind die USA der "große Satan".

Noch weiß man nicht genau, was in diesem Brief steht. Vielleicht enthält er auch eine Menge kruder politischer Vorstellungen und bigotten Schwulstes. Aber die Tatsache, daß der "Oberschurke" dem "Großen Satan" einen Brief geschrieben hat, das ist die eigentliche Sensation. Den Brief als "nutzlos" abzuqualifizieren, ist in der Situation, der sich Washington in Nahmittelost gegenübersieht (und vor der die Welt steht), nicht konstruktiv. Vielmehr sollte Washington die Teheraner Führung beim Wort nehmen und direkte Gespräche in einem breiten Kontext und ohne ausschließende Vorbedingungen beginnen. Die yankeehafte Politik der "bedingungslosen Kapitulation" ist aus früheren Zeiten in schlimmer Erinnerung!


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